1968 - Witthüser&Westrupp - Lieder von
Vampiren, Nonnen, Tote, Rolf Ulrich Kaiser, etc.
Der Beginn von etwas Neuem
Ich
bin dahin und schlaf den Todesschlummer
ich, der so teuer ich hier auf Erden war
hier lieg ich nun befreit von Sorg und Kummer
im weißen Hemde auf der Totenbahr.
Mein
Haupt - geziert von einem grünen Kranze
mein Haar wallt an der Brust herab
so geschmückt im myrtenreichen Glanze
senkt man mich bald ins morsche kühle Grab.
Da
stehn sie nun, die Totengräber
oh schaut mich nicht so grässlich an
erstarrt sind alle meine Glieder
vollendet hat sich meine Lebensbahn.
Was
tut ihr nun - mich überfällt ein Grauen
oh schließt den Sarg doch noch nicht zu
lasst einen Augenblick euch noch beschauen
dann tragt mich hin zur ewig stillen Ruh´.
Gehab dich wohl, du holde Schöne
mit großem Schmerz zieh´ ich dahin
nehmt diese heiße wehmutsvolle Träne
und diesen Kuss der ewigen Treue hin.
Gleich schlummere ich im Erdenschoß hier nieden
bis mich dereinst der große Posaunenschall
aus meinem Grabe ruft zum ewigen Frieden
hinauf ins ewig blaue Frühlingstal.
Da
werde ich dich wiederfinden
dort unter der Millionen-Engelschar
dort wird mein Geist mit deinem sich verbinden
dort vor des Meisters heiligen Altar.
Dort
werde ich Dich wieder erkennen
du wirst dann unzertrennlich mein
dort wird der Tod uns nicht mehr trennen
dort werden wir stets beisammen sein.
"Ich
bin dahin" der W&W-LP "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten
Text u. Musik: Witthüser/Westrupp
usikalisch
finde ich mich in einem Vakuum wieder: meine geliebte Skiffle-Band „The Night-Revellers“
hat sich vor Urzeiten wegen Arbeitsmangels aufgelöst, im
Posaunenchor bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr aktiv, der
Kantorei habe ich nach meinem Stimmbruch Ade gesagt und im Schulorchester ist aufgrund meines Alters mittlerweile
ebenfalls kein Platz
mehr frei. Ich spiele von Zeit zu Zeit die Tuba in der University-Jazzband der Uni
Bochum und trete ab und an als Folksänger auf, aber das befriedigt mich
irgendwie nicht so richtig: ich bin verzweifelt auf der
Suche nach einer neuen musikalischen Herausforderung.
Bei Bernhard stellt sich die Situation ähnlich dar: mit seinen
sozialkritischen Songs - ihm wurde mittlerweile das Etikett "der Protestsänger des Ruhrgebiets"
angeheftet -
ist er auch
nicht mehr so richtig glücklich ist ("ich spiel vor Kumpels und hab noch nie im
Leben richtig malocht: die lachen sich ja kaputt über mich").
Daher
hat er den Protestsänger-Staffelstab vor einiger Zeit schon weitergegeben an
den gebürtigen Essener Frank Baier, einen alten Freund, Skiffler
und Liedermacher: "Hier hast Du mein Material: mach was draus" -
das war genau Franks Ding, er wurde "Pottpoet" und schaffte es bis zur
Mercator-Nadel!
Bernd
Witthüser bei einem seiner letzten Konzerte
als "Protestsänger der
Ruhrgebiets"
Bernd und ich musizieren des Öfteren gemeinsam, und mit der Zeit
erwächst aus diesem Zusammenspiel die Idee, alte Bänkellieder, Vampirtexte,
Trauer- und Totengedichte, Moritaten und Lyrik aus alten Büchern, die wir
in dieser Zeit lesen, zu vertonen: Heine, Novalis, von Salis, Hölderlin,
Böttiger, Paracelsus, Brösel & Co. Mit Gitarre und Ukulele verpacken wir die
ersten Texte in entsprechende musikalische Gewänder, und es entsteht eine eigen- und einzigartige Mischung aus
klerikalem Protestgesang, klassischer Gitarrenmusik mit traurigen
Einschüben und filigranen Untermalungen. Bernhards Gitarrenfertigkeiten kommen bei dieser
Art von Musik eindrucksvoll zur Geltung und bilden einen
wunderbaren Teppich, auf dem ich meine Ukulele sowie Trompeten- und Flötentöne
zum Klingen bringen kann. Zusammen mit der dominanten Stimme von
Bernhard und untermalt von meinem klerikalen Organ erzeugen
wir auch gesangsmäßig eine einmalig eigentümliche Stimmung, die dem
Zuhörer genügend Raum für eigene
Gedanken und Interpretationen lassen soll. Ich baue nach und nach weitere Instrumente wie
Triangel, dicke Zing, Xylophon, Windspiel, Waschbrett und was so alles in den Räumen
herum liegt und irgendwie Geräusche und Musik erzeugt, in unsere
Kompositionen ein. Oft meditieren wir nächtelang über einem Thema,
lassen die Bandmaschine mitlaufen und entscheiden später über die
Instrumentierung.
Ein Film über die Anfänge von Witthüser &
Westrupp,
mit einigen Liedern aus ihrem 1. Programm:
"Wir möchten dieses Lied noch singen"
und ihrem Smash-Hit
"Dracula"
ür die Textsuche ist zudem sehr hilfreich, dass sich ganz in unserer
Nähe die WAZ-Lokalredaktion befindet mit der Stammbesetzung Thomas
Rother, Ingo Guttenberger, Andreas Hartung als Redakteure und Jochem
Schumann als freiem Mitarbeiter. Hier gehen wir aus und ein und gehören
quasi zum Inventar - sehr zum Leidwesen der Abteilungssekretärin Fr.
Justen. Thomas Rother ist - wie schon gesagt - Bernhards Haus- & Hoftexter
und schrieb ihm neben den Bergmannstexten auch z.B. das "Lied vom Bankräuber", das
"Kinderlied für Erwachsene" (siehe Film im Kapitel
"Viehofer Str.") und vieles andere mehr - und war somit an
Bernhards Ruf als "Protestsänger des Ruhrgebiets" maßgeblich
beteiligt. Für uns schreibt er nun unter Anderem "Wenn das
Karakulschaf blökt", das wunderschöne "Lass uns auf die Reise
gehn", das "Liebeslied", das wir zu einem
flotten Dreier umdichten, und er begleitet den Anfang unseres Weges
journalistisch, was für die lokale Karriere von W&W nicht
gerade abträglich ist. Sein "Lied vom kleinen Revolutionär" ist einer der
Kracher in dem 1. W&W-Programm "Lebende Tote Vampire" und spiegelt unsere zwar
bürgerschreckende, aber eigentlich unpolitische Grundhaltung treffend
wider:
Das
Lied von kleinen Revolutionär:
Dem Opa hacke ich das Holzbein an
Damit der Alte nicht mehr laufen kann
Dann stecke ich dem Opa das Holzbein in Brand
Dann haben wir wieder ein Feuer im Land
Der Oma nehme ich die Brille weg
Und schmier ihr auf die Gläser Dreck
Dann sagt die Oma: Danke mein Kind
Ich bin ja sowieso schon fast blind
Der Schwester reiße ich die Puppe entzwei
Aus einem Holzpferd mache ich drei
Dann pinkel ich von unsrem Balkon:
Hurra, es lebe die Revolution!
Text: Thomas Rother, Musik:
Bernd Witthüser
Hier zu hören in einem Live-Mitschnitt von 1970
irgendwo in Essen:
ir
erarbeiten ein 1 ½ -stündiges Programm, nennen es "Lebende
Tote Vampire" undproben in jeder freien Minute im JZ Essen, wo der Leiter
Bernhard Graf von Schmettow uns glücklicherweise einen Raum überlässt, in dem wir
ohne die dummen Kommentare unserer Mitbewohner – also ungestört -
jederzeit üben können. Hausmeister und Personal, die ab und an teilhaben
(dürfen/müssen) an diesem künstlerischen Entstehungsprozess und unseren
musikalischen Ergüssen, sind ein kritisches
Publikum und geben manch ehrliche konstruktive, mitunter saftige Kritik zum Besten
(manchmal auch gerne noch etwas mehr), aber so kochen wir nicht nur im eigenen
Saft. Der dritte Mann bei W&W ist (kurzzeitig) Jens
Nissen, ein motorradfahrender
(!) Geiger aus Essen
- und Ende 1969 ist es dann endlich soweit: das Programm steht. Unser 1.
öffentliches Konzert geben wir im kleinen Saal des Essener Jugendzentrums
als Bernd Witthüser Sing- und Spielgemeinschaft (SuSG) – bei
Kerzenlicht, Rotwein und Weißbrot. Ganz in schwarz gekleidet, spielen wir mit
unserem Sammelsurium von mittlerweile ca. 20 Instrumenten gar gruselige Lieder
auf dunkler Bühne. Unsere selbst für heutige Verhältnisse einmalig
zu nennende Light-Show, die wir uns aus Resten in der JZ-Werkstatt
zusammengebaut haben, besteht aus 2 Strahlern: rotes Licht (Lampe links)
bei Liebesliedern, grünes Licht (Lampe rechts) bei Grab- und Vampirsongs
und rot/grün (also volle Kanne) bei nicht einzuordnenden Kompositionen,
gesteuert von uns mittels Fußschaltern. Nachdem
sich das Publikum an die eigen- und einzigartige Atmosphäre gewöhnt hat und auf
unsere ironisch/satirischen Erläuterungen,die wir zu den einzelnen Liedern geben,
mit Zwischenrufen eingeht,
ist der Bann gebrochen – es wird ein großer 1. Erfolg, der uns zeigt,
dass wir einen guten Weg gehen und unser musikalisches Projekt Zukunft haben kann.
Durch die Kontakte von Bernhard zu Veranstaltern und mittels diverser Flugblattaktionen und
obskurer Zeitungsanzeigen, aber auch durch erste Zeitungsartikel und
-kritiken über uns sind relativ schnell Auftritte im Ruhrgebiet gebucht,
wir haben erste Radio-Termine: das Projekt „W&W´s Pop-Cabaret“läuft
an. Wir
spielen auf der kleinen feinen Studio-Bühne der Stadt Essen, wo uns der
NRZ-Theaterkritiker bescheinigt, dass wir nicht mal in der Lage wären, Noten
zu lesen (dabei war er doch zum ersten Mal in seinem Leben zur richtigen Zeit am
richtigen Ort - aber das hat er nicht kapiert). Wir ziehen durch
Deutschlands Clubs und Kleinkunstbühnen, bleiben eine zeitlang in Berlin
hängen und tingeln durch die
Berliner Kneipen (Go-In, Steve-Club, Dennis Pan, Folkpub
etc.), wo die Musiker jeweils einen kleinen Set für ein Getränk oder eine
Bulette als Gage spielten können - und lernen die dortige Szene mit ihren
Cracks kennen (Insterburg & Co [für Karl Dall - Gott hab
ihn selig - waren wir immer Wicküler & Mostricht], Hannes Wader,
Reinhard Mey, Schobert & Black, Horst Koch etc.), wir sind auf der Waldeck bei den
Songfestivals - wir sind präsent und werden mehr und mehr wahr genommen. Das ist erstaunlich, weil wir so gar nicht in eine
Schublade passen: Ist das Kabarett? Bänkelgesang und/oder
Eulenspiegeleien? Ist das ernst gemeint oder hinterlistig naiv?
Makaber, Satire, Provokation oder Kitsch? Bieder oder totaler
Unsinn? In der Bewertung unserer Konzerte sind sich Veranstalter und
Schreiberlinge so gar nicht einig. Wir wissen es ja selber nicht, es
interessiert uns aber auch nicht: für uns zählt nur, dass wir Konzerte spielen und damit zumindest unsere Kosten
einspielen können. Wir nutzen mittlerweile eine eigene Verstärkeranlage, die peu a peu weiter
ausgebaut wird, wir benötigen einen verlässlichen fahrbaren
Untersatz samt Kraftstoff, Instrumente und Saiten müssen gepflegt,
repariert oder erneuert werden: das läppert sich und bringt uns des
Öfteren an den Rand des Ruins: die Kosten steigen, die Gagen nicht - und
ein paar Taler zum Leben sollen eigentlich für uns auch noch
überbleiben: wir werden ja leider nicht ununterbrochen eingeladen,
geschweige denn von irgendwem gesponsort.
nfang
1970 haben wir einen Gig in der Wuppertaler Börse: vor 8 (i.W. acht) Personen Publikum präsentieren wir unser Programm,
immerhin so professionell wie es in so einem privaten Rahmen eben geht. Dennoch ist
es schon ätzend, vor einem (fast) leeren Raum ohne richtiges
Feedback zu spielen: wir fühlen uns unwohl
und sind heilfroh, als der imaginäre Vorhang endlich fällt und 1 ½
Stunden quälend langes Programm vorbei sind. Beim Abbau unserer Anlage
(müssen wir selber bewerkstelligen in Ermanglung von Roadies) kommt ein
Pärchen auf uns zu, das sich diese unsere "Show" angetan hat: es ist
ein Bekannter von Bernhard mit
einer netter Begleiterin. Nach obligatorischer
Begrüßung, kurzem Händeschütteln und Schulterklopfen incl. der üblichen
Lobhudeleien lädt er uns zum Bierchen ein und offeriert uns dann - einen
Plattenvertrag!?!
Dieser Mensch ist Rolf-Ulrich
Kaiser mit seiner Lebensgefährtin Gille Lettmann.Er hat mit dem Berliner Meisel-Verlag (Hansa Musik) zusammen das Ohr-Label gegründet
und ist nun
auf der Suche nach wirklich guten deutschen Gruppen. Ist er bei uns
denn da richtig?
Bisher wissen ja eigentlich nur wir selber, wie begabt wir sind (glaubten wir bisher), aber dass
Aussenstehende das genau so wahrnehmen und in uns und unserer Musik das Potential für
eine breitere Vermarktung sehen, haut uns fast
um. Dass ein Musikjournalist, dem eine gewisse Fachkenntnis
wohl nicht
abzusprechen ist, uns W&Wler zur deutschen Musiker-Creme zählen würde,
das haben wir wahrlich nicht erwartet! An einen Plattenvertrag haben
wir bisher nicht einen einzigen Gedanken verschwendet, das war für uns so
utopisch wie ein Lottogewinn (vor allem, wenn man überhaupt nicht
tippt).
Bernd muss mich am nächsten Tag -
nach unruhiger Nacht und einer ersten
Verarbeitung dieses positiven Schock-Erlebnisses
- zunächst detailliert
darüber aufklären, für was denn nun
dieser ominöse Herr Kaiser tatsächlich steht (dass er nicht der nette
Herr von der
Frankfurt-Mannheimer ist, wird selbst mir mittlerweile klar). Rolf Ulrich Kaisers
Kürzel RUK steht als Begriff für einen in Musiker- und
Undergroundkreisen hoch geschätzten und geachteten Musik-Journalisten und Schriftsteller, der sich speziell mit
alternativen Formen von Musik
beschäftigt, der sich in der gesellschaftspolitischen Folk-Szene außerordentlich gut
auskennt und auf der
Waldeck Bekanntschaften schließt mit Musikern aller Couleur. Kaiser produziert
Musiksendungen in neuen Formaten, schreibt
Artikel in Fachzeitschriften sowohl über die nationale Musikszene als auch internationale Folk-Künstler wie Joan Baez und Pete
Seeger, über Zappa und die Fugs und die Mothers,
und er publiziert Bücher und Hefte zur damaligen Popmusik: anerkannte Fachlektüre zu Formen einer
Gegenkultur. Er ist
mitverantwortlich für die Essener Songtage, bei denen Bernd
Geschäftsführer war. Ich lerne somit: dieser Kaiser produziert keine heiße Luft - sondern demnächst
(auch) W&W...
on
Peter Meisel, dem Chef des Hansa-Verlages, bei dem das
Ohr-Label angesiedelt ist, wissen wir erst mal garnix, rufen
unsere Kontakte in Berlin an und finden heraus, dass er sich rührend um den
deutschen Schlager kümmert. Schlagerfuzzis wie Drafi Deutscher, Ricky
Shayne und Marianne Rosenberg sind seine Zugpferde, auch das
Essener Mädchen Juliane Werding hat er später mit ihrem furchtbaren
"Am Tag, als Conny Kramer starb" in den deutschen
Schnulzenhimmel
gezerrt. Bernd sollte ihr auf Wunsch von Meisel Gitarrenunterricht geben,
lehnt ab - und Peter Busch von der Duisburger "Bröselmaschine"
übernimmt und entwickelt sich fortan zum Gitarrenlehrer der Nation. Wie
Kaiser den Meisel zu dieser Zusammenarbeit brachte, hat er uns nie erzählt
- aber er hat es geschafft und damit einen gut organisierten Verlag mit all
seinen Vernetzungen an die Seite geholt für den Vertrieb von Gruppen wieFloh de Cologne, Limbus 4,
Embryo, Guru Guru, Bröselmaschine,
Wallenstein, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, Hölderlin, W&W etc. :
eine wunderbar bunte Mischung extravaganter Bands in einem
Operetten-Verlag - mit dem Slogan "Macht das Ohr auf"
passt das wie die Faust aufs Auge
ir
sind happy, wir sind aufgeregt wie kleine Kinder, wir fragen nicht
nach Prozenten, nur nach einem kleinen Vorschuss und der Stelle im
Vertrag, wo wir unterschreiben können und wann es endlich ab ins Studio
geht. Der Traum eines jeden Musikers, entdeckt zu werden, erfüllt sich bei einem der schlimmsten Auftritte unserer gesamten musikalischen
Laufbahn. Denn Plattenvertrag heißt: einem
größeren Publikum bekannt werden mittels Rundfunkinterviews, Werbung,
Fernsehauftritten. Welche Band in Essen kann sowas vorweisen? Das ist für
uns als Musikduo ein Quantensprung -
heraus aus einer regional beschränkten Bekanntheit hinein in den großen weiten
deutschsprachigen Raum. Dieser Vertrag ist Herausstellungsmerkmal, eine Art
Ritterschlag, was zum Vorzeigen, ein Türöffner: vielleicht
können wir in absehbarer Zeit tatsächlich von unserer Musik leben? Eine
Fantasievorstellung scheint tatsächlich wahr zu werden, wir drehen durch
und ein paar Dreiblättrige dazu...
ie
Verträge werden in Berlin unterzeichnet (Peter Meisel hat uns eingeladen
zu Elchsteak mit Preiselbeeren), und im März 1970 fahren wir nach Hamburg, um unsere 1. LP "Lieder
von Vampiren, Nonnen und Toten" einzuspielen.
Die Produktion erfolgt im "Studio" Fürchtenicht, einer Art Heimstudio in
einem stinknormalen Wohnzimmer. Arbeiten können wir nur nachts wegen
des Lärms und der Straßengeräusche
tagsüber draußen (fehlende Schallisolierung), und Playback ist auch nicht: es
steht nur eine normale Stereo-REVOX-Maschine zur Verfügung. Das heißt für uns: jeder
Titel muss im Hieb sitzen: macht einer von uns Musikern einen Fehler,
wird die Aufnahme gestoppt - und alles geht wieder zusammen von vorne los. Fährt
ein Laster vorbei und die Gläser klappern im Schrank: auf ein Neues. Zum Glück haben wir noch keine überhöhten
Qualitätsansprüche - weder an uns selbst noch an die Aufnahmeleitung - und wenn bei einem Trompetensolo mal die Spucke in
der Kanne brodelt, es aber intonationsmäßig nichts Großartiges zu
nörgeln gibt, dann wird das Ding ab gewunken. Für "Studio-Neulinge" schlagen wir uns recht
wacker, und unser
bewährtes Bühnenmotto „Perfektion ist nicht unsere Stärke“, mit dem
wir hörbare Fehler ins Menschliche ziehen, können wir bei dieser Art
der "Arbeit" zwar nicht erklären, es kommt aber hier voll zum Tragen.
Das Schöne ist: uns labert keiner rein, keiner schaut auf
die Uhr, keiner erinnert an Studiokosten - es ist entspanntes, ruhiges und
dennoch konzentriertes Musizieren. Als Gastmusiker und Roady ist Charly Weißschädel
mit dabei, der beim Flipper-Song in einer Schüssel virtuos mit
Wasser planscht - und nach 3 Nächten ist die LP im Kasten
(also auf Band). Alles, was wir hier
abgeliefert haben, ist tatsächlich handgemachte rein akustische Musik
ohne jegliche Spur von Elektrik, geschweige denn Elektronik, es ist
neudeutsch „unplugged".
urück
in Essen nehmen wir erst einmal die "Sache" mit der GEMA in
Angriff, denn da gibt es für die Urheber Knete für die
Plattenverkäufe und die Verwendung der Musik im Radio und Fernsehen.
Die GEMA will aber sofort bei der Anmeldung eine Aufnahmegebühr
haben, und da wir wie immer extrem klamm sind, meldet sich nur mein Partner
Bernd Witthüser an, denn
er hat bis dato den größten Teil der Musik komponiert und erscheint auf dem
Plattencover auch als "Band"-Name. Mein Anteil an dieser
Produktion - wie auch an der nächsten - ist nur der
eines gewöhnlichen unterbezahlten und am Erfolg leider pekuniär nicht
beteiligten "Studio"-Musikers...
Als wir
endlich nach quälend langen und sich schleichend hinziehenden Wochen (gefühlte Monate) die 1.
Anpressung der LP in Händen
halten und vorsichtig auf
den Plattenteller legen, den Tonarm aufsetzen und die Lausprecher
aufdrehen, höre ich plötzlich
nur falsche Töne, jeder noch so kleine Fehler fällt mir jetzt auf und lässt mich
schaudern, jeder zu späte Einsatz wird zum größten Ärgernis -
eigentlich kann man jedes einzelne Stück viel viel besser machen - ja
man müsste die ganze Platte auf den Müll werfen und ganz von vorn
anfangen. Dass unsere Bekannten und Freunde die Produktion "einfach nur
toll" finden, empfinde ich als Mitleid - doch jetzt ist eben nix mehr zu
ändern.
Das einzig Schöne an der LP - finde ich - ist das Plattencover von Reinhard
Hippen, an
dem vorne ein Luftballon -mit dem OHR-Logo drauf - eingearbeitet ist.
Im Nachhinein - mit gehörigem Abstand - muss ich sagen:
diese 1 Produktion ist die Ehrlichste von
allen: eben ausschließlich HANDGEMACHT
ie
Präsentation dieser unserer 1. Platten-Produktion erfolgt stilgerecht anno Juli 70 im Hamburger DRK-Haus.Wir werden in Särgen in
einen mit Kerzen beleuchten Raum getragen, RUK hält eine kurzweilig
launige, mit Grabesstimme vorgetragene Einführungsrede, dann klappen
wir die Sargdeckel auf und entsteigen dem Sarkophag, bleich geschminkt und schwarz
gekleidet und singen den anwesenden Journalisten und Kritikern das Lied:
"Wenn hoch die Sonn steht am Firmament, liegt Graf Dracula im Sarg
und pennt". Wir lassen das Abendglöckchen ertönen, das Mütterlein am Grab des Sohnes
weinen und zeigen die Lilie
vom See: das haben
Schreiberlinge, die sonst Opern kritisieren oder Rockkonzerte
besuchen, noch nicht gehört, gesehen und erlebt - der Gag sitzt..
Es folgt ein ordentlich fetter Presserummel: der Stein, den wir geworfen
haben, zieht reichlich Kreise. Da dieses Motiv so außergewöhnlich ist,
kommt ein entsprechendes Echo in den Zeitungen zurück – und die ersten Fernsehsender
interessieren sich für uns: wir steigen langsam in neue Dimensionen auf.(Zeitungskritik Frankf. Neue
Presse)
Witthüser & Westrupp
stilgerecht bei der
Präsentation ihrer
ersten LP
"Lieder von
Vampiren, Nonnen und Toten "
beim offiziellen Fototermin
Im August kommt dann auch unsere
1. Single auf den Markt - mit „Wer schwimmt dort?“ (unserem
Flipper-Smash-Hit) und der wunderbaren Rückseite „Einst kommt die Nacht“
- die Essenz aus den Todesanzeigen der Woche von unserer Pinnwand.
ir brauchen dringendst – die
Veranstalter fragten verstärkt danach – neue Plakate. Unsere
bisherigen, noch
für das Programm "Lebende Tote Vampire" der "Bernd Witthüser
SuSG" gemacht, auf denen wir grob gerastert und nackt ineinander verschlungen
erscheinen - sie sind alle weg und verbraucht...
Das Poster der BWSuSG
von 1969: Bernd, Walter und das damalige 3. Mitglied Jens (Geige)
...und so setzen wir uns flugs mit
unserem bewährten Essener Haus- und Hof-Grafiker/Fotografen-Team
Volker Bargatzki / Frithjof Hirdes zusammen und besprechen mit den
beiden einen möglichst originellen ausgefallenen einzigartigen
unverwechsel- und wunderbaren Neuentwurf eines mindestens DIN A0 großen Kunstwerkes
- und verwirklichen diese Idee auf schnellstem Wege.
as Ergebnis sieht mehr nach einem
alt-ägyptischen Pyramidenwächterduo als nach einer neudeutschen Folkband aus, aber
es ist wieder ein optischer Knaller – ein
künstlerisch gestaltetes Poster mit
Stil, mit Charm, mit Aussagekraft, mit Charisma – ein Kunstgegenstand eben, ein Stück
deutscher Plakatgeschichte, das sich nicht nur Musikliebhaber gerne auch mal ins Wohnzimmer
hängen und wo dann alle neidisch fragen: „Hey Mann, datt ist ja supergeil - wo hasse datt denn her?“
Darauf hat die Welt schon lange gewartet.
Das 2. Poster von W&W: ein
Hingucker und begehrtes Sammlerobjekt
Die Nachfrage ist so riesig, dass die Druckerei kaum mit
der Vervielfältigung und wir
mit dem Verschicken nachkommen. Wenn z.B. der ASTA der Uni Münster
für einen Auftritt von uns im dortigen Auditorium Maximum 100 Poster ordert, dann
liegt spätestens nach 1 Woche die Nachbestellung auf dem Tisch. Grund:
die Lieferung ist zwar angekommen und ausgehängt, aber mittlerweile von Fans oder
Kunstliebhabern wieder abgehängt und geklaut worden. Die Poster werden zu
einem begehrten Sammlerobjekt, was sich natürlich in der Szene
herumspricht und bei manchen Zeitgenossen dann leider auch unseriöse
(damit vermeide ich ein schlimmeres Wort) Energien weckt. Pedro Meurer,
Kampfgefährte zu der damaligen Zeit und bis dato eigentlich als Freund zu
bezeichnen, schließt sich in einer Nacht- und Nebelaktion mit
Poster-Shop Ecki zusammen, der sich ebenso in unserem Dunstkreis bewegt.
Die beiden lassen die Poster nachdrucken – ohne unser Wissen und ohne Genehmigung der Grafiker
(also der geistigen und auch praktischen Urheber) und
vertreiben Sie in ganz Europa und verdienen sich eine güldene Nase: diese
Nasenbären. Diese Schweinepriester! Wenn sie uns wenigstens beteiligt hätten...
Ich habe – nach Jahrenden - zum Glück irgendwann durch Zufall im „Fährschipp“,einer Kneipe in Essen-Werden, bei meinem Freund Achim Schagen (der uns nie
als Beleuchter mit nach Nepal genommen hat) ein Exemplar entdeckt. In einer großzügigen/-mütigen
Anwandlung und einem kleinen Umweg über Lamberts Kneipe Arche Noah
an der Folkwang-Musikschule in Werden hat er es mir
dann zukommen lassen. Jetzt schmückt und verschönt es meine
eigentlich auch so schon wunderbare Bar: und nach jedem Schluck wird es
wunderbarer - und manchmal sogar farbig und kunterbunt...
m September sind wir auf dem legendären
LOVE & PEACE-Festival auf der Insel Fehmarn dabei (dem ich ein
Extra-Kapitel gewidmet habe), im Oktober spielen wir auf dem 3. Pop- und Blues-Festival in
Essen in der Grugahalle...
Pop &
Blues-Festival in Essen mit Posaune und Gitarre
Poster & Foto: Jochen Florstedt
...dann nach Wien zu ORF-Fernsehaufnahmen, Radiotermine beim WDR, SWF und
Deutscher Welle (da hörte mich sogar meine Schwester in Uruguay),
Open-Air Festival in Frankfurt, Pop-Festival Bremen, 14 Tage München,
1 Woche Köln, Drei- Wochen
Gastspiel in Berlin bei den Wühlmäusen, spielen zum Advent auf bei der von
den "Nörgelbuffs" veranstalteten Feier in der Stadthalle Göttingen (wo die ganze Halle unseren Smash-Hit
"Flipper" mitsingt), sind zu Gast im Mainzer Unterhaus, dem deutschen
Kabarett-Tempel,
dazu immer wieder Pressetermine mit dem Stern, mit POP (Musik-Zeitung) und diversen
Tageszeitungen, Promotion-Tour für die LP etc.: nun brechen wir das Musikstudium ab (ist sowieso nur graue Theorie)
und auch unsere Nebenjobs bleiben auf der Strecke (abhängige Arbeit war
sowieso nicht unser Ding): wir können erstmals von unseren Gagen (über)leben.
Doch von nix kommt bekanntlich nix, wie wir bei uns zu Hause zu sagen pflegen: wir spielen – wenn wir
zwischendurch Pause haben und zu Hause sind - auch weiterhin
nächtelang zusammen Melodien durch, improvisieren über bestimmten
Harmoniefolgen, nehmen alles auf Tonband auf und erarbeiten uns (und das
ist wirklich ARBEIT - aber schöner, effektiver und befriedigender als die
vorgenannte "abhängige", weil jetzt nur noch für uns selbst) einen neuen Fundus an Musik.
Wir testen einen weiteren Musiker mit Künstlernamen Paul Bussard, der uns
aber mit seiner Laute keinen wirklich neuen Impulse geben kann: wir bleiben
dann doch lieber musikalisch allein zu zweit...