1968 - Witthüser&Westrupp - Lieder von Vampiren, Nonnen, Tote, Rolf Ulrich Kaiser, etc. 

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Der Beginn von etwas Neuem

Ich bin dahin und schlaf den Todesschlummer
ich, der so teuer ich hier auf Erden war
hier lieg ich nun befreit von Sorg und Kummer
im weißen Hemde auf der Totenbahr.

Mein Haupt - geziert von einem grünen Kranze
mein Haar wallt an der Brust herab
so geschmückt im myrtenreichen Glanze
senkt man mich bald ins morsche kühle Grab.

Da stehn sie nun, die Totengräber
oh schaut mich nicht so grässlich an
erstarrt sind alle meine Glieder
vollendet hat sich meine Lebensbahn.

Was tut ihr nun - mich überfällt ein Grauen
oh schließt den Sarg doch noch nicht zu
lasst einen Augenblick euch noch beschauen
dann tragt mich hin zur ewig stillen Ruh´.

Gehab dich wohl, du holde Schöne
mit großem Schmerz zieh´ ich dahin
nehmt diese heiße wehmutsvolle Träne
und diesen Kuss der ewigen Treue hin.

Gleich schlummere ich im Erdenschoß hier nieden
bis mich dereinst der große Posaunenschall
aus meinem Grabe ruft zum ewigen Frieden
hinauf ins ewig blaue Frühlingstal.

Da werde ich dich wiederfinden
dort unter der Millionen-Engelschar
dort wird mein Geist mit deinem sich verbinden
dort vor des Meisters heiligen Altar.

Dort werde ich Dich wieder erkennen
du wirst dann unzertrennlich mein
dort wird der Tod uns nicht mehr trennen
dort werden wir stets beisammen sein.

"Ich bin dahin" der W&W-LP "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten
Text u. Musik: Witthüser/Westrupp

 

  ROLF ULRICH KAISER PLATTENVERTRAG  
1. LP "LIEDER VON VAMPIREN, NONNEN UND TOTEN"  
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DER ANFANG VON W&W

usikalisch finde ich mich in einem Vakuum wieder: meine geliebte Skiffle-Band „The Night-Revellers“ hat sich vor Urzeiten wegen Arbeitsmangels aufgelöst, im Posaunenchor bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr aktiv, der Kantorei habe ich nach meinem Stimmbruch Ade gesagt und im Schulorchester ist aufgrund meines Alters mittlerweile ebenfalls kein Platz mehr frei. Ich spiele von Zeit zu Zeit die Tuba in der University-Jazzband der Uni Bochum und trete ab und an als Folksänger auf, aber das befriedigt mich irgendwie nicht so richtig: ich bin verzweifelt auf der Suche nach einer neuen musikalischen Herausforderung.   

Bei Bernhard stellt sich die Situation ähnlich dar: mit seinen sozialkritischen Songs - ihm wurde mittlerweile das Etikett "der Protestsänger des Ruhrgebiets" angeheftet - ist er auch nicht mehr so richtig glücklich ist ("ich spiel vor Kumpels und hab noch nie im Leben richtig malocht: die lachen sich ja kaputt über mich"). Daher hat er den Protestsänger-Staffelstab vor einiger Zeit schon weitergegeben an den gebürtigen Essener Frank Baier, einen alten Freund, Skiffler und Liedermacher: "Hier hast Du mein Material: mach was draus" - das war genau Franks Ding, er wurde "Pottpoet" und schaffte es bis zur Mercator-Nadel!

Der Protestsänger des Ruhrgebiets: Bernd Witthüser
Bernd Witthüser bei einem seiner letzten Konzerte 
als "Protestsänger der Ruhrgebiets"

Bernd und ich musizieren des Öfteren gemeinsam, und mit der Zeit erwächst aus diesem Zusammenspiel die Idee, alte Bänkellieder, Vampirtexte, Trauer- und Totengedichte, Moritaten und Lyrik aus alten Büchern, die wir in dieser Zeit lesen, zu vertonen: Heine, Novalis, von Salis, Hölderlin, Böttiger, Paracelsus, Brösel & Co. Mit Gitarre und Ukulele verpacken wir die ersten Texte in entsprechende musikalische Gewänder, und es entsteht eine eigen- und einzigartige Mischung aus klerikalem Protestgesang, klassischer Gitarrenmusik mit traurigen Einschüben und  filigranen Untermalungen. Bernhards Gitarrenfertigkeiten kommen bei dieser Art von Musik eindrucksvoll zur Geltung und bilden einen wunderbaren Teppich, auf dem ich meine Ukulele sowie Trompeten- und Flötentöne zum Klingen bringen kann. Zusammen mit der dominanten Stimme von Bernhard und untermalt von meinem klerikalen Organ erzeugen wir auch gesangsmäßig eine einmalig eigentümliche Stimmung, die dem Zuhörer genügend Raum für eigene Gedanken und Interpretationen lassen soll. Ich baue nach und nach weitere Instrumente wie Triangel, dicke Zing, Xylophon, Windspiel, Waschbrett und was so alles in den Räumen herum liegt und irgendwie Geräusche und Musik erzeugt, in unsere Kompositionen ein. Oft meditieren wir nächtelang über einem Thema, lassen die Bandmaschine mitlaufen und entscheiden später über die Instrumentierung.

Ein Film über die Anfänge von Witthüser & Westrupp, 
mit einigen Liedern aus ihrem 1. Programm:
"Wir möchten dieses Lied noch singen" und ihrem Smash-Hit "Dracula"

 

 

ür die Textsuche ist zudem sehr hilfreich, dass sich ganz in unserer Nähe die WAZ-Lokalredaktion befindet mit der Stammbesetzung Thomas Rother, Ingo Guttenberger, Andreas Hartung als Redakteure und Jochem Schumann als freiem Mitarbeiter. Hier gehen wir aus und ein und gehören quasi zum Inventar - sehr zum Leidwesen der Abteilungssekretärin Fr. Justen. Thomas Rother ist - wie schon gesagt - Bernhards Haus- & Hoftexter und schrieb ihm neben den Bergmannstexten auch z.B. das "Lied vom Bankräuber", das "Kinderlied für Erwachsene" (siehe Film im Kapitel "Viehofer Str.") und vieles andere mehr - und war somit an Bernhards Ruf als "Protestsänger des Ruhrgebiets" maßgeblich beteiligt. Für uns schreibt er nun unter Anderem "Wenn das Karakulschaf blökt", das wunderschöne "Lass uns auf die Reise gehn", das "Liebeslied", das wir zu einem flotten Dreier umdichten, und er begleitet den Anfang unseres Weges journalistisch, was für die lokale Karriere von W&W nicht gerade abträglich ist. Sein "Lied vom kleinen Revolutionär" ist einer der Kracher in dem 1. W&W-Programm "Lebende Tote Vampire" und spiegelt unsere zwar bürgerschreckende, aber eigentlich unpolitische Grundhaltung treffend wider:

 

Das Lied von kleinen Revolutionär: 

Dem Opa hacke ich das Holzbein an 
Damit der Alte nicht mehr laufen kann 
Dann stecke ich dem Opa das Holzbein in Brand 
Dann haben wir wieder ein Feuer im Land 

Der Oma nehme ich die Brille weg 
Und schmier ihr auf die Gläser Dreck 
Dann sagt die Oma: Danke mein Kind 
Ich bin ja sowieso schon fast blind 

Der Schwester reiße ich die Puppe entzwei 
Aus einem Holzpferd mache ich drei 
Dann pinkel ich von unsrem Balkon: 
Hurra, es lebe die Revolution!

Text: Thomas Rother, Musik: Bernd Witthüser

Hier zu hören in einem Live-Mitschnitt von 1970 irgendwo in Essen: 

 

 

ir erarbeiten ein 1 ½ -stündiges Programm, nennen es "Lebende Tote Vampire" und proben in jeder freien Minute im JZ Essen, wo der Leiter Bernhard Graf von Schmettow uns glücklicherweise einen Raum überlässt, in dem wir ohne die dummen Kommentare unserer Mitbewohner – also ungestört - jederzeit üben können. Hausmeister und Personal, die ab und an teilhaben (dürfen/müssen) an diesem künstlerischen Entstehungsprozess und unseren musikalischen Ergüssen, sind ein kritisches Publikum und geben manch ehrliche  konstruktive, mitunter saftige Kritik zum Besten (manchmal auch gerne noch etwas mehr), aber so kochen wir nicht nur im eigenen Saft. Der dritte Mann bei W&W ist (kurzzeitig) Jens Nissen, ein motorradfahrender (!) Geiger aus Essen - und Ende 1969 ist es dann endlich soweit: das Programm steht. Unser 1. öffentliches Konzert geben wir im kleinen Saal des Essener  Jugendzentrums als Bernd Witthüser Sing- und Spielgemeinschaft (SuSG) – bei Kerzenlicht, Rotwein und Weißbrot. Ganz in schwarz gekleidet, spielen wir mit unserem Sammelsurium von mittlerweile ca. 20 Instrumenten gar gruselige Lieder auf dunkler Bühne. Unsere selbst für heutige Verhältnisse einmalig zu nennende Light-Show, die wir uns aus Resten in der JZ-Werkstatt zusammengebaut haben, besteht aus 2 Strahlern: rotes Licht (Lampe links) bei Liebesliedern, grünes Licht (Lampe rechts) bei Grab- und Vampirsongs und rot/grün (also volle Kanne) bei nicht einzuordnenden Kompositionen, gesteuert von uns mittels Fußschaltern. Nachdem sich das Publikum an die eigen- und einzigartige Atmosphäre gewöhnt hat und auf unsere ironisch/satirischen Erläuterungen, die wir zu den einzelnen Liedern geben, mit Zwischenrufen eingeht, ist der Bann gebrochen – es wird ein großer 1. Erfolg, der uns zeigt, dass wir einen guten Weg gehen und unser musikalisches Projekt Zukunft haben kann.

W & Ws POP CABARET - das erste Pressefoto Durch die Kontakte von Bernhard zu Veranstaltern und mittels diverser Flugblattaktionen und obskurer  Zeitungsanzeigen, aber auch durch erste Zeitungsartikel und -kritiken über uns sind relativ schnell Auftritte im Ruhrgebiet gebucht, wir haben erste Radio-Termine: das Projekt „W&W´s Pop-Cabaret“ läuft an. Wir spielen auf der kleinen feinen Studio-Bühne der Stadt Essen, wo uns der NRZ-Theaterkritiker bescheinigt, dass wir nicht mal in der Lage wären, Noten zu lesen (dabei war er doch zum ersten Mal in seinem Leben zur richtigen Zeit am richtigen Ort - aber das hat er nicht kapiert). Wir ziehen durch Deutschlands Clubs und Kleinkunstbühnen, bleiben eine zeitlang in Berlin hängen und tingeln durch die Berliner Kneipen (Go-In, Steve-Club, Dennis Pan, Folkpub etc.), wo die Musiker jeweils einen kleinen Set für ein Getränk oder eine Bulette als Gage spielten können -  und lernen die dortige Szene mit ihren Cracks kennen (Insterburg & Co [für Karl Dall - Gott hab ihn selig - waren wir immer Wicküler & Mostricht], Hannes Wader, Reinhard Mey, Schobert & Black, Horst Koch etc.), wir sind auf der Waldeck bei den Songfestivals - wir sind präsent und werden mehr und mehr wahr genommen. Das ist erstaunlich, weil wir so gar nicht in eine Schublade passen: Ist das Kabarett? Bänkelgesang und/oder  Eulenspiegeleien? Ist das ernst gemeint oder hinterlistig naiv? Makaber, Satire, Provokation oder Kitsch? Bieder oder totaler Unsinn? In der Bewertung unserer Konzerte sind sich Veranstalter und Schreiberlinge so gar nicht einig. Wir wissen es ja selber nicht, es interessiert uns aber auch nicht: für uns zählt nur, dass wir Konzerte spielen und damit zumindest unsere Kosten einspielen können. Wir nutzen mittlerweile eine eigene Verstärkeranlage, die peu a peu weiter ausgebaut wird, wir benötigen einen verlässlichen fahrbaren Untersatz samt Kraftstoff, Instrumente und Saiten müssen gepflegt, repariert oder erneuert werden: das läppert sich und bringt uns des Öfteren an den Rand des Ruins: die Kosten steigen, die Gagen nicht - und ein paar Taler zum Leben sollen eigentlich für uns auch noch überbleiben: wir werden ja leider nicht ununterbrochen eingeladen, geschweige denn von irgendwem gesponsort. 

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1. LP "LIEDER VON VAMPIREN, NONNEN UND TOTEN"
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ROLF ULRICH KAISER (RUK)

 nfang 1970 haben wir einen Gig in der Wuppertaler Börse: vor 8  (i.W. acht) Personen Publikum präsentieren wir unser Programm, immerhin so professionell wie es in so einem privaten Rahmen eben geht. Dennoch ist es schon ätzend, vor einem (fast) leeren Raum ohne richtiges Feedback zu spielen: wir fühlen uns unwohl und sind heilfroh, als der imaginäre Vorhang endlich fällt und 1 ½ Stunden quälend langes Programm vorbei sind. Beim Abbau unserer Anlage (müssen wir selber bewerkstelligen in Ermanglung von Roadies) kommt ein Pärchen auf uns zu, das sich diese unsere "Show" angetan hat: es ist Rolf Ulrich Kaiser - der Macher des Ohr-Labelsein Bekannter von Bernhard mit einer netter Begleiterin. Nach obligatorischer Begrüßung, kurzem Händeschütteln und Schulterklopfen incl. der üblichen Lobhudeleien lädt er uns zum Bierchen ein und offeriert uns dann - einen Plattenvertrag!?! Dieser Mensch ist  Rolf-Ulrich Kaiser mit seiner Lebensgefährtin Gille Lettmann. Er hat mit dem Berliner Meisel-Verlag (Hansa Musik) zusammen das Ohr-Label gegründet und ist nun auf der Suche nach wirklich guten deutschen Gruppen. Ist er bei uns denn da richtig? Bisher wissen ja eigentlich nur wir selber, wie begabt wir sind (glaubten wir bisher), aber dass Aussenstehende das genau so wahrnehmen und in uns und unserer Musik das Potential für eine breitere Vermarktung sehen, haut uns fast um. Dass ein Musikjournalist, dem eine gewisse Fachkenntnis wohl nicht abzusprechen ist, uns W&Wler zur deutschen Musiker-Creme zählen würde, das haben wir wahrlich nicht erwartet! An einen Plattenvertrag haben wir bisher nicht einen einzigen Gedanken verschwendet, das war für uns so utopisch wie ein Lottogewinn (vor allem, wenn man überhaupt nicht tippt).

Bernd muss mich am nächsten Tag - nach unruhiger Nacht und einer ersten Verarbeitung dieses positiven Schock-Erlebnisses - zunächst detailliert darüber aufklären, für was denn nun dieser ominöse Herr Kaiser tatsächlich steht (dass er nicht der nette Herr von der Frankfurt-Mannheimer ist, wird selbst mir mittlerweile klar). Rolf Ulrich Kaisers Kürzel RUK steht als Begriff für einen in Musiker- und Undergroundkreisen hoch geschätzten und geachteten Musik-Journalisten und Schriftsteller, der sich speziell mit alternativen Formen von Musik beschäftigt, der sich in der gesellschaftspolitischen Folk-Szene außerordentlich gut auskennt und auf der Waldeck Bekanntschaften schließt mit Musikern aller Couleur. Kaiser produziert Musiksendungen in neuen Formaten, schreibt Artikel in Fachzeitschriften sowohl über die nationale Musikszene als auch internationale Folk-Künstler wie Joan Baez und Pete Seeger, über Zappa und die Fugs und die Mothers, und er publiziert Bücher und Hefte zur damaligen Popmusik: anerkannte Fachlektüre zu Formen einer Gegenkultur. Er ist mitverantwortlich für die Essener Songtage, bei denen Bernd Geschäftsführer war. Ich lerne somit: dieser Kaiser produziert keine heiße Luft - sondern demnächst (auch) W&W...

on Peter Meisel, dem Chef des Hansa-Verlages, bei dem das Ohr-Label angesiedelt ist,  wissen wir erst mal garnix, rufen unsere Kontakte in Berlin an und finden heraus, dass er sich rührend um den deutschen Schlager kümmert. Schlagerfuzzis wie Drafi Deutscher, Ricky Shayne und Marianne Rosenberg sind seine Zugpferde, auch das Essener Mädchen Juliane Werding hat er später mit ihrem furchtbaren "Am Tag, als Conny Kramer starb" in den deutschen Schnulzenhimmel gezerrt. Bernd sollte ihr auf Wunsch von Meisel Gitarrenunterricht geben, lehnt ab - und Peter Busch von der Duisburger "Bröselmaschine" übernimmt und entwickelt sich fortan zum Gitarrenlehrer der Nation. Wie Kaiser den Meisel zu dieser Zusammenarbeit brachte, hat er uns nie erzählt - aber er hat es geschafft und damit einen gut organisierten Verlag mit all seinen Vernetzungen an die Seite geholt für den Vertrieb  von Gruppen wie Floh de Cologne, Limbus 4, Embryo, Guru Guru, Bröselmaschine, Wallenstein, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, Hölderlin, W&W etc. : eine wunderbar bunte Mischung extravaganter Bands in einem Operetten-Verlag - mit dem Slogan "Macht das Ohr auf" passt das wie die Faust aufs Auge

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1. LP "LIEDER VON VAMPIREN, NONNEN UND TOTEN"
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PLATTENVERTRAG & 1. LP

ir sind happy, wir sind aufgeregt wie kleine Kinder, wir fragen nicht nach Prozenten, nur nach einem kleinen Vorschuss und der Stelle im Vertrag, wo wir unterschreiben können und wann es endlich ab ins Studio geht. Der Traum eines jeden Musikers, entdeckt zu werden, erfüllt sich bei einem der schlimmsten Auftritte unserer gesamten musikalischen Laufbahn. Denn Plattenvertrag  heißt: einem größeren Publikum bekannt werden mittels Rundfunkinterviews, Werbung, Fernsehauftritten. Welche Band in Essen kann sowas vorweisen? Das ist für uns als Musikduo ein Quantensprung - heraus aus einer regional beschränkten Bekanntheit hinein in den großen weiten deutschsprachigen Raum. Dieser Vertrag ist Herausstellungsmerkmal, eine Art Ritterschlag, was zum Vorzeigen, ein Türöffner: vielleicht können wir in absehbarer Zeit tatsächlich von unserer Musik leben? Eine Fantasievorstellung scheint tatsächlich wahr zu werden, wir drehen durch und ein paar Dreiblättrige dazu...

ie Verträge werden in Berlin unterzeichnet (Peter Meisel hat uns eingeladen zu Elchsteak mit Preiselbeeren), und im März 1970 fahren wir nach Hamburg, um unsere 1. LP "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten" einzuspielen. Die Produktion erfolgt im "Studio" Fürchtenicht, einer Art Heimstudio in einem stinknormalen Wohnzimmer. Arbeiten können wir nur nachts wegen des Lärms und der Straßengeräusche tagsüber draußen (fehlende Schallisolierung), und Playback ist auch nicht: es steht nur eine normale Stereo-REVOX-Maschine zur Verfügung. Das heißt für uns: jeder Titel muss im Hieb sitzen: macht einer von uns Musikern einen Fehler, wird die Aufnahme gestoppt - und alles geht wieder zusammen von vorne los. Fährt ein Laster vorbei und die Gläser klappern im Schrank: auf ein Neues. Zum Glück haben wir noch keine überhöhten Qualitätsansprüche - weder an uns selbst noch an die Aufnahmeleitung - und wenn bei einem Trompetensolo mal die Spucke in der Kanne brodelt, es aber intonationsmäßig nichts Großartiges zu nörgeln gibt, dann wird das Ding ab gewunken. Für "Studio-Neulinge" schlagen wir uns recht wacker, und unser bewährtes Bühnenmotto „Perfektion ist nicht unsere Stärke“, mit dem wir hörbare Fehler ins Menschliche ziehen, können wir bei dieser Art der "Arbeit" zwar nicht erklären, es kommt aber hier voll zum Tragen. Das Schöne ist: uns labert keiner rein, keiner schaut auf die Uhr, keiner erinnert an Studiokosten - es ist entspanntes, ruhiges und dennoch konzentriertes Musizieren. Als Gastmusiker und Roady ist Charly Weißschädel mit dabei, der beim Flipper-Song in einer Schüssel virtuos mit Wasser planscht -  und nach 3 Nächten ist die LP im Kasten (also auf Band). Alles, was wir hier abgeliefert haben, ist tatsächlich handgemachte rein akustische Musik ohne jegliche Spur von Elektrik, geschweige denn Elektronik, es ist neudeutsch „unplugged".

urück in Essen nehmen wir erst einmal die "Sache" mit der GEMA in Angriff, denn da gibt es für die Urheber Knete für die Plattenverkäufe und die Verwendung der Musik im Radio und Fernsehen. Die GEMA will aber sofort bei der Anmeldung eine Aufnahmegebühr haben, und da wir wie immer extrem klamm sind, meldet sich nur mein Partner Bernd Witthüser an, denn er hat bis dato den größten Teil der Musik komponiert und erscheint auf dem Plattencover auch als "Band"-Name. Mein Anteil an dieser Produktion - wie auch an der nächsten - ist nur der eines gewöhnlichen unterbezahlten und am Erfolg leider pekuniär nicht beteiligten "Studio"-Musikers... 

Als wir endlich nach quälend langen und sich schleichend hinziehenden Wochen (gefühlte Monate) die 1. Anpressung der LP in Händen halten und vorsichtig auf den Plattenteller legen, den Tonarm aufsetzen und die Lausprecher aufdrehen, höre ich plötzlich nur falsche Töne, jeder noch so kleine Fehler fällt mir jetzt auf und lässt mich schaudern, jeder zu späte Einsatz wird zum größten Ärgernis - eigentlich kann man jedes einzelne Stück viel viel besser machen - ja man müsste die ganze Platte auf den Müll werfen und ganz von vorn anfangen. Dass unsere Bekannten und Freunde die Produktion "einfach nur toll" finden, empfinde ich als Mitleid - doch jetzt ist eben nix mehr zu ändern.
Das einzig Schöne an der LP - finde ich - ist das Plattencover von Reinhard Hippen, an dem vorne ein Luftballon -mit dem OHR-Logo drauf - eingearbeitet ist.


Im Nachhinein - mit gehörigem Abstand - muss ich sagen: 
diese 1 Produktion ist die Ehrlichste von allen: eben ausschließlich HANDGEMACHT

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PRESSEKONFERENZ

ie Präsentation dieser unserer 1. Platten-Produktion erfolgt stilgerecht anno Juli 70 im Hamburger DRK-Haus. Wir werden in Särgen in einen mit Kerzen beleuchten Raum getragen, RUK hält eine kurzweilig launige, mit Grabesstimme vorgetragene Einführungsrede, dann klappen wir die Sargdeckel auf und entsteigen dem Sarkophag, bleich geschminkt und schwarz gekleidet und singen den anwesenden Journalisten und Kritikern das Lied: "Wenn hoch die Sonn steht am Firmament, liegt Graf Dracula im Sarg und pennt". Wir lassen das Abendglöckchen ertönen, das Mütterlein am Grab des Sohnes weinen und zeigen die Lilie vom See:  das haben Schreiberlinge, die sonst Opern kritisieren oder Rockkonzerte besuchen, noch nicht gehört, gesehen und erlebt - der Gag sitzt.. 
Es folgt ein ordentlich fetter Presserummel: der Stein, den wir geworfen haben, zieht reichlich Kreise. Da dieses Motiv so außergewöhnlich ist, kommt ein entsprechendes Echo in den Zeitungen zurück – und die ersten Fernsehsender interessieren sich für uns: wir steigen langsam in neue Dimensionen auf.
 (Zeitungskritik Frankf. Neue Presse )

Witthüser & Westrupp
stilgerecht bei der 
Präsentation ihrer
ersten LP
"Lieder von
Vampiren, Nonnen und Toten "
beim offiziellen Fototermin 

Im August kommt dann auch unsere 1. Single auf den Markt - mit „Wer schwimmt dort?“ (unserem Flipper-Smash-Hit) und der wunderbaren Rückseite „Einst kommt die Nacht“ - die Essenz aus den Todesanzeigen der Woche von unserer Pinnwand.

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UNSERE POSTER

ir brauchen dringendst – die Veranstalter fragten verstärkt danach – neue Plakate. Unsere bisherigen, noch für das Programm "Lebende Tote Vampire" der "Bernd Witthüser SuSG" gemacht, auf denen wir grob gerastert und nackt ineinander verschlungen erscheinen - sie sind alle weg und verbraucht...


Das Poster der BWSuSG von 1969: Bernd, Walter und das damalige 3. Mitglied Jens (Geige)

...und so setzen wir uns flugs mit unserem bewährten Essener Haus- und Hof-Grafiker/Fotografen-Team Volker Bargatzki / Frithjof Hirdes zusammen und besprechen mit den beiden einen möglichst originellen ausgefallenen einzigartigen unverwechsel- und wunderbaren Neuentwurf eines mindestens DIN A0 großen Kunstwerkes - und verwirklichen diese Idee auf schnellstem Wege.
as Ergebnis sieht mehr nach einem alt-ägyptischen Pyramidenwächterduo als nach einer neudeutschen Folkband aus, aber es ist wieder ein optischer Knaller – ein künstlerisch gestaltetes Poster mit Stil, mit Charm, mit Aussagekraft, mit Charisma – ein Kunstgegenstand eben, ein Stück deutscher Plakatgeschichte, das sich nicht nur Musikliebhaber gerne auch mal ins Wohnzimmer hängen und wo dann alle neidisch fragen: „Hey Mann, datt ist ja supergeil - wo hasse datt denn her?“ Darauf hat die Welt schon lange gewartet.


Das 2. Poster von W&W: ein Hingucker und begehrtes Sammlerobjekt

Die Nachfrage ist so riesig, dass die Druckerei kaum mit der Vervielfältigung und wir mit dem Verschicken nachkommen. Wenn z.B. der ASTA der Uni Münster für einen Auftritt von uns im dortigen Auditorium Maximum 100 Poster ordert, dann liegt spätestens nach 1 Woche die Nachbestellung auf dem Tisch. Grund: die Lieferung ist zwar angekommen und ausgehängt, aber mittlerweile von Fans oder Kunstliebhabern wieder abgehängt und geklaut worden. Die Poster werden zu einem begehrten Sammlerobjekt, was sich natürlich in der Szene herumspricht und bei manchen Zeitgenossen dann leider auch unseriöse (damit vermeide ich ein schlimmeres Wort) Energien weckt. Pedro Meurer, Kampfgefährte zu der damaligen Zeit und bis dato eigentlich als Freund zu bezeichnen, schließt sich in einer Nacht- und Nebelaktion mit Poster-Shop Ecki zusammen, der sich ebenso in unserem Dunstkreis bewegt. Die beiden lassen die Poster nachdrucken – ohne unser Wissen und ohne Genehmigung der Grafiker (also der geistigen und auch praktischen Urheber) und vertreiben Sie in ganz Europa und verdienen sich eine güldene Nase: diese Nasenbären. Diese Schweinepriester! Wenn sie uns wenigstens beteiligt hätten...
Ich habe – nach Jahrenden - zum Glück irgendwann durch Zufall im „Fährschipp“,  einer Kneipe in Essen-Werden, bei meinem Freund Achim Schagen (der uns nie als Beleuchter mit nach Nepal genommen hat) ein Exemplar entdeckt. In einer großzügigen/-mütigen Anwandlung und einem kleinen Umweg über Lamberts Kneipe Arche Noah an der Folkwang-Musikschule in Werden hat er es mir dann zukommen lassen. Jetzt schmückt und verschönt es meine eigentlich auch so schon wunderbare Bar: und nach jedem Schluck wird es wunderbarer - und manchmal sogar farbig und kunterbunt...
 

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KONZERTE

m September sind wir auf dem legendären LOVE & PEACE-Festival auf der Insel Fehmarn dabei (dem ich ein Extra-Kapitel gewidmet habe), im Oktober spielen wir auf  dem 3. Pop- und Blues-Festival in Essen in der Grugahalle...

 


  Pop & Blues-Festival in Essen mit Posaune und Gitarre 
Poster & Foto: Jochen Florstedt

...dann nach Wien zu ORF-Fernsehaufnahmen, Radiotermine beim WDR, SWF und Deutscher Welle (da hörte mich sogar meine Schwester in Uruguay), Open-Air Festival in Frankfurt, Pop-Festival Bremen, 14 Tage München, 1 Woche Köln, Drei- Wochen Gastspiel in Berlin bei den Wühlmäusen, spielen zum Advent auf bei der von den "Nörgelbuffs" veranstalteten Feier in der Stadthalle Göttingen (wo die ganze Halle unseren Smash-Hit "Flipper" mitsingt), sind zu Gast im Mainzer Unterhaus, dem deutschen Kabarett-Tempel, dazu immer wieder Pressetermine mit dem Stern, mit POP (Musik-Zeitung) und diversen Tageszeitungen, Promotion-Tour für die LP etc.: nun brechen wir das Musikstudium ab (ist sowieso nur graue Theorie)  und auch unsere Nebenjobs bleiben auf der Strecke (abhängige Arbeit war sowieso nicht unser Ding): wir können erstmals von unseren Gagen (über)leben. 
Doch von nix kommt bekanntlich nix, wie wir bei uns zu Hause zu sagen pflegen: wir spielen – wenn wir zwischendurch Pause haben und zu Hause sind -  auch weiterhin nächtelang zusammen Melodien durch, improvisieren über bestimmten Harmoniefolgen, nehmen alles auf Tonband auf und erarbeiten uns (und das ist wirklich ARBEIT - aber schöner, effektiver und befriedigender als die vorgenannte "abhängige", weil jetzt nur noch für uns selbst) einen neuen Fundus an Musik. Wir testen einen weiteren Musiker mit Künstlernamen Paul Bussard, der uns aber mit seiner Laute keinen wirklich neuen Impulse geben kann: wir bleiben dann doch lieber musikalisch allein zu zweit...

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68er nach Noten - Kapitel 4: Nonnen
©
2003 by Walter Westrupp - letzte Korrekturen Heiligabend 2021