Der Stern schrieb 1972 (zu Bauer Plath)
Um dem Show-Rummel zu entgehen, flüchteten
die Pop-Sänger Witthüser und Westrupp aufs Land. Dort leben und musizieren sie bei Bauer
Plath in einem urlaten Haus. Frotzelt das Duo:
Bald tanzen auch die Kühe Beat
Im idyllischen Hunsrück-Dorf Dill ist die
Welt wieder in Ordnung. Noch vor wenigen Monaten war das anders. Da schrickte die
300-Seelen-Gemeinde plötzlich aus ihrem Frieden auf, als zwei wild aussehende Gestalten
ganz unbekümmert in ein Haus an der Hauptstraße des Dorfes zogen.
Inzwischen haben sich die Wogen wieder
geglättet. Es sprach sich nämlich schnell herum, daß es sich bei den neuen Mitbürgern
um zwei ruhige, friedliebende und sogar bekannte Musikanten namens Witthüser und Westrupp
handelte. "Die Leute hier halten uns für harmlose Verrückte", erzählt Walter
Westrupp, 26 Jahre alt, bärtig, pummelig, mit Nickelbrille vor den verschmitzten Augen.
Kompagnon Bernd Witthüser zwei Jahre älter, hager, mit schulterlangem Haar
ergänzt grinsend: "Aber in unser Haus traut sich doch keiner recht ´rein. Irgendwie
sind wir denen noch nicht geheuer".
Dabei gehören "W und W" zu den
liebenswertesten und originellsten Erscheinungen der bundesdeutschen Pop-Szene. So wie sie
sind etwas versponnen, verträumt, in sich gekehrt -, passen sie in keine
Show-Schablone. Bei ihnen steht der Spaß an der eigenen Musik und nicht das Geldverdienen
an erster Stelle. Deshalb waren sie auch über den Tournee- und Fernseherfolg ihrer
Jesus-Oper "Der Jesus-Pilz" nicht einmal besonders glücklich. "Wir hatten
keine ruhige Minute mehr" berichten die gebürtigen Essener, "sobald wir über
die Straße gingen, wurden wir von irgendjemand doof angequatscht".
Wieder träumen gelernt
Um diesem lästigen Rummel zu entkommen,
flüchteten die "Clowns der Pop-Welt" (so ein Kritiker) kurz entschlossen aufs
Land ins friedliche Dorf Dill. "Hier lernten wir wieder das Träumen, fanden
zu uns selbst zurück", schwärmen die beiden. Die Harmonie ist vollkommen, seit sie
mit einem braven Bürger von Dill Freundschaft geschlossen haben. Mit Bauer Plath. Ihm
gehört das über 100 Jahre alte Häuschen, das Bernd und Walter für bescheidene 150 Mark
monatlich mieteten.
"Anfangs war er natürlich ein bißchen
mißtrauisch", erzählt das Duo, "aber das hat sich schnell gelegt, nachdem wir
ein paarmal auf dem Feld mitgeholfen haben". Auch der Herr über einen Bauernhof,
viel Land, fünf Schweine und 15 Kühe läßt nichts auf seine neuen Untermieter kommen.
"Die sind schwer in Ordnung", lobt er. Nicht ohne Grund, denn sie helfen
fleißig bei der Rüben- oder Kartoffelernte mit, bringen das Heu mit ein, füttern das
Vieh, misten die Ställe aus, "und oft sitzen wir bis in die Nacht hinein bei
Kerzenschimmer und Kräuterwein", so der Text ihres Liedes vom Bauern Plath.
Bauer Plath besungen
Ihrem aufgeschlossenen Hausherrn haben die
Sänger jetzt ihre neueste Langspielplatte gewidmet. Unter dem Titel "Bauer
Plath" besingen sie in romantischen Beat-Melodien die Idylle auf dem Land, erzählen
Märchen aus dem Dorf und feiern ihr "glückliches, sorgenloses Leben". Mit
ebenso romantischen, aber tiefsinnigeren Liedern stellt sich das Gespann Mitte November im
Fernsehen vor. In der WDR-Dokumentation "Über die Schwierigkeiten eines deutschen
Dichters, geehrt zu werden", singen sie Texte von Heinrich Heine. Regisseur Paul
Karalus prophezeit: "Mit diesen Melodien wird der Dichter sicher auch bei der
heutigen Jugend populär".
Witthüser und Westrupp wollen jedoch noch
jemandem zur Popularität verhelfen: dem Männergesangverein von Dill. Mit diesen 20
stimmgewaltigen Dorfbewohnern soll die nächste Platte produziert werden. Grinst das Duo:
"Demnächst tanzen hier sogar die Kühe im Beat-Rhytmus". |
Rheinische Post
(zum Jesuspilz)
Klaus Wilhelm Kerscht im November 1971Die Weltschöpfung als Pop-Effekt
Uraufführung der Jesusoper in der
Essener Apostelkirche
Die Weltschöpfung wird als ein gelungener
Popeffekt dargestellt "man knipste das Licht an". Der Sündenfall sehr
amüsant: Satan bringt ein Quentchen Unberechenbarkeit in die friedliche aber etwas
langweilige Paradieslandschaft. "Hört mal her, Jungs", so spricht der
Auferstandene zu seinen Jüngern. Durch Texte dieser Art und auch durch die Mittel der
Popmusik wurde die Bibel verfremdet in der ersten deutschen Jesusoper
"Jesuspilz", die in der Essener Apostelkirche uraufgeführt wurde.
Der Name "Jesuspilz" ist insofern
irreführend, als keine opernmäßige Szenerie ausgestaltet wurde, sondern mehr
oratorienhaft Texte aus dem Alten und Neuen Testament aneinandergereiht sind. Darüber
hinaus ist auch der Name "Jesus", der in der Oper nicht vorkommt, nach Aussage
der Akeure mehr zufällig gewählt worden. Die beiden Dichter und Komponisten und einzigen
Sänger und Musiker der Jesusoper, Walter Westrupp und Bernd Witthüser bekannt
durch Auftritte bei Popfestivals und durch zwei Langspielplatten erklärten, eine
Wandlung durchgemacht zu haben, an deren Ende neue religiöse Erfahrungen stünden. Darum
wollten sie das Evangelium durch ihre Musik "jedermann zugänglich machen". Der
neue Glaube an Jesus läßt sich auf einen Nenner bringen: "Durch Jesus findet jeder
zu sich selbst." Die biblische Botschaft wird hierbei stark verkürzt. Doch das kann
man kaum den Musikern zum Vorwurf machen in einer Zeit, wo die Theologen ständig neue
Jesusse finden und erfinden.
So klein die Popgruppe von nur zwei
Mann ist, so reichhaltig ist das Instrumentarium (Gitarren, Flöten, Orgel, Schlagzeug
aller Art, Mundharmonika und sogar indische Tablas). Die Musiker beherrschen ihr
Instrumentarium, das sie in immer neuen
Kombinationen verwenden.
Also nur eine neue Variante der Jesuswelle,
amüsant, schockierend, banal, je nach dem Standpunkt? Die Szenerie hat noch einen anderen
Hintergrund. Warum sie gerade in einer Kirche spielten, wurden die Musiker gefragt. Mit
gleichbleibend freundlichem Lächeln, das auch bei bissiger Kritik nicht verschwand (und
das machte die jungen Musiker besonders sympathisch), antworteten sie: "Ach, diese
Kirche hat so eine gute Akkustik, und sie steht die ganze Woche über leer und selbst am
Sonntag wird sie nur für ein paar alte Leute gebraucht. Da dachten wir uns: So kriegt sie
wieder einmal einen vernünftigen Zweck." Tatsächlich war die Kirche voll von
Jugendlichen, die bei aller auch vorhandenen Kritik meist stürmisch applaudierten.
Was evangelische und katholische Kirchen
heute nicht fertigbringen, trotz aller Reformen der Liturgie: Ein neues Interesse am
Gottesdienst zu schaffen hier wird über die Musik eine Begegnung mit dem
Religiösen gesucht. Kaum einen störte, daß die Texte oft erschreckend simpel waren
bei dem Lied: "Besuch aus dem Kosmos" wurde sogar gefragt, ob das
"vertonter Däniken" sei. Vielleicht muß Religion wieder so einfach anfangen,
nachdem lange Zeit hindurch die Kirche die Jugend nicht mehr erreicht hat und man
sollte niemals alle Schuld der Kirche geben die Jugend gleichzeitig sich nicht mehr
von der Kirche erreichen lassen wollte. Und darum sollte man, trotz einiger bedenklicher
Randerscheinungen, nicht alles als Mode oder als "schnellvergessene Jesuswelle, auf
der zur Zeit alle Musiker mitschwimmen wollen", abtun. Dahinter steht eine neue
Sehnsucht, eine neue Erwartung, ein Advent woher, wohin? |
Aachener Nachrichten
(zu Trips und Träume)
Petra Stenzke im April 71Pop-Musik
aus deutschen Landen
Trips und Träume
Von draußen siehts aus, wie ein
biederer Kaufmannsladen (ist es übrigens auch), aber wenn man die Tür des Hauses
Hauptstraße Nummer 33 in Stommeln bei Köln passiert hat, vorbei an sauren Gurken, Drops
und anderen Lebensmitteln,durch die gute Wohnstube des Kaufmannes Dierks marschiert ist
und einen düsteren Hof durchwandert hat dann steht man unvermutet in einem der
modernsten Aufnahmestudios Deutschlands. Hier, in dem kleinen, muffigen, verqualmten Raum
tummeln sich: drei Mädchen, ein Techniker, der auch mal singt, wenns drauf ankommt,
Rolf-Ulrich Kaiser, deutscher Pop-Kolumnist und Pressemann des Metronomelabels
"Ohr", die beiden deutschen Pop-Barden Bernd Witthüser und Walter Westrupp
und Karlchen, eine achtwöchige Hündin, die Schnürsenkel, Handtaschen, Kulis,
Liedertexte und menschliche Gliedmaßen anknabbert, und Karlchen heißt, weil ihren
Besitzern, Witthüser und Westrupp, partout kein Mädchenname einfallen wollte. Diesem
kleinen schwarzen Biest von Hund, das mit Vorliebe Geleehimbeeren schleckt, ist auch ein
Song gewidmet, aber das später.
Hier im Studio Dierks nehmen Witthüser und
Westrupp ihre neue LP "Trips und Träume" auf, wir dürfen zusehen. Es ist der
vorletzte von sechs Aufnahmetagen. Man hat am Tage vorher bis in die späte Nacht
geschuftet, trotz allem ist die Atmosphäre gut, keine Gereiztheit ist bemerkbar, von
einigen kleinen Wortgeplänkeln abgesehen. Das Geheimnis ist vielleicht, daß niemand
Witthüser und Westrupp reinredet. Rolf-Ulrich Kaiser, Vertreter des
"Mutterhauses", mischt sich nicht ein. Die Musiker dürfen ganz allein
bestimmen, was auf der LP erscheint, eine Maxime des Ohr-Labels.
Gerade bastelt man gemeinsam an einem Song,
der gewiß einer der schönsten, wenn nicht der schönste überhaupt der ganzen LP werden
wird:
"Auf der Suche nach einem neuen Weg /
klopfen wir an die Himmelstüre. / Ein Mann namens Petrus öffnet ganz sacht und fragt /
Seid ihr es, die da kommen sollen, uns den Shiet zu bringen? / Wir streichen aus alle, die
wir kennen, uns eingeschlossen / unt treten ein in den ewigen Frühling / Wir sehen die
himmlischen Heerscharen mit den ewigen Joints auf ihren Wolken sitzen / und ihr Gesang
steigt unaufhaltsam in den Händen der Sonne."
Hier soll ein Chor einsetzen, aber Witthüser
und Westrupp haben sich noch nicht entschlossen: Soll einer singen, soll ein Chor singen,
wenn ja, was? Etwa "uh...," oder nur einfach "mm" oder "Lei,
lei"? Man eingit sich schließlich mit den beiden singenden Mädchen auf "lei,
lei...", denn das klingt mehr nach Fröhlichkeit, nach jointgeschwängerter
Glückseligkeit. Dieses Stück ist unwahrscheinlich stimmungsvoll, da paßt jede Note zum
Text.
Nachdem die Gruppe zufrieden ist, gibt es in
Dierks guter Stube erstmal Steaks und Fritten. Die Mädchen, die getrampt sind, um nach
Stommeln zu kommen, erzählen von Erlebnsissen mitälteren Herren, die sie mitgenommen
haben. Nicht sehr schmeichelhaft. Ein Sozialarbeiter war auch dabei. Nach Dienstschluß?
Witthüser erzählt uns was von seiner und Westrupps Musik, die jetzt übrigens auch noch
von einem dritten Mann gemacht wird; der alte Name aber bleibt.
Wie eigentlich Leute, die bislang von
Gruseligem (Toten, Vampiren etc.) und Lustigem (Wer schwimmt dort? Flipper...) sangen und
ursprünglich vom Protestsong kommend (Bernd Witthüser war lange Zeit als
"Protestsänger des Ruhrgebiets" bekannt und sang in Zechen) wie also
solche Leute ausgerechnet dazu kommen, jetzt von Rauschgift besser: Rauschmitteln,
einem doch recht unpopulären Thema, zu singen, wollen wir wissen. Witthüser meint dazu,
daß sie lange Zeit eine Art Clowns für die Leute waren. Man lachte ja auch massig über
die zwei, wenn sie vom kinderlieben Delphin Flipper sangen, Witze rissen, Schock
verbreiteten. Aber: Witthüser und Westrupp wollen keine Clowns mehr sein. Jetzt singen
sie das, was sie persönlich erlebten, empfanden. Sie setzen ihre Träume in Musik um. Sie
vertreten konsequent eine heitere Haschisch-Philosophie, wie man sie bei Arlo Guthrie oder
in Easy Rider findet. Überdies wollen sie möglichst viele Leute mit ihrer Musik
glücklich machen, wollen sie dazu anregen, selbst Musik zu machen -einfach so. ohne
große Anlagen, just for fun. Witthüser und Westrupp selbst machen eine Musik, die nicht
kompliziert klingt, die zum Nachahmen reizt.
Sie, die Weltmeister im Waschbrett-Spielen,
haben ein reiches Instrumentarium: Posaune (Westrupp spielt auf der neuen LP mit sich
selbst im Quartett), Trommel, Trompete, Zimbel, Ukulele, Xylophon, Flöte, Chromonika,
Gitarre, Harmonica und Psalter. Mit diesem aus der Schulzeit und dem Orffschen
Musikwerk bekannten Streichinstrument passiert zu fortgeschrittener Stunde noch etwas
Lustiges. Walter Westrupp ist etwas verstimmt: sein Walzer, nur mit Klampfe gespielt,
klingt zu fad. Das Mädchen Renée und Witthüser gehen mit in den Aufnahmeraum. Renée
spielt Klavier, Witthüser Gitarre und Westrupp entdeckt zu seinem Entzücken eben diesen
Psalter. Alle spielen mit Hingebung richtig schön falsch und schräg. Im anderen Raum, am
Aufnahmetisch, herrscht unverhüllte Munterkeit: Techniker, Freundin, Ohr-Leute und
Journalisten ömmeln sich vor Lachen, denn alles wird aufgezeichnet. Unt als
Witthüser und Westrupp es nachher mit Lachtränen im Augenwinkel hören, wird
beschlossen: Das "Concerto grosso" kommt mit auf "Trips und Träume".
Dann wird ein Lied auf Karlchen und seine
phantastische Traumreise zu den großen bösen Hunden von Renée auf Band gesprochen, und
dann gehts ans Mischen. Als erstes der Titelsong:
Nimm einen Joint, mein Feund / that spends
all Leut Freud, mein Freund / some people say hasch makes lasch / but give me the
joint"
und so weiter und so weiter. Es ist schon
fast Mitternacht, aber man will die LP schnell fertig machen, denn sie soll vielleicht in
einem Monat schon erscheinen.
Witthüser und Westrupp wollen ihre Vampir-,
Nonnen- und Toten-Songs noch nicht völlig aus dem Repertoire verbannen, weil der Vorrat
an neuen Songs noch nicht groß genug ist, und weil man das Publikum langsam an die neue
Linie gewöhnen will. Von Witthüser und Westrupp erschienen bis jetzt folgende
Platten: "Liefer von Vampiren, Nonnen und Toten", Ohr OMM 56002; "Wer
schwimmt dort?" (Single) Ohr OS 57002. |
Frankfurter Neue
Presse (zu den Liedern v. Nonnen, Toten und
Vampiren)
Gille Lettmann im Oktober 1970Grausige Lieder von W & W:
Vampire, Nonnen, Tote
Jetzt singt er Lieder von Vampiren, Nonnen
und Toten: Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Protestsänger Bernd Witthüser
gewandelt. Schrie er früher, antwortet er heute sanft, marschierte er früher auf den
Straßen, holte sich Strafanzeigen, so zieht er sich heute zurück und formuliert leiser.
Witthüsers neues Programm mit seinem Freund
Walter Westrupp heißt: "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten" und ist jetzt
als Schallplatte bei Ohr/Metronome erschienen, aus teurem Kitsch und schrecklichem
Martyrium, immer grausig übersteigert, auf daß niemand so recht weiß, wie er darauf
reagieren soll. So sorgen die beiden für Schauder und Schrecken, für Unwohlsein und
Unsicherheit, die durchaus zum Nachdenken provozieren können.
Sie erzählen merkwürdige Geschichten und
begleiten sich dabei mit Gitarre, Trommel, Xylophon, Posaune, Trompete und anderen
Instrumenten.
In W-&-Ws-Popkabarett gaukeln
Schmetterlinge, weint ein Mütterlein, werden blaue Blumen mit viel Ironie gedüngt, wird
von Billie von nebenan erzählt, von Flipper, Mönchen, Nonnen, Vampiren und Gräbern aus
Großmutters Gruselkästchen und irgendwie und wann wird dem Zuschauer klar, daß
diese Form der Unterhaltung nicht so harmlos ist, wie sie zu sein scheint. Sie hat zwar
eine Erholungsfunktion, genau wie anspruchsvolle Musik, aber die Idylle ist mit
Fallen ausgelegt. |