Viehofer Str. 15 - 68er nach Noten - Witthüser Westrupp - Essener Songtage 68 - 1. Kommune in der Stadt Essen, LSD etc. |
Wenn ich ein wenig fröhlicher wär´
Ich würd´ auf alle Schulden scheißen Ich würd alles, was ich hab, verkaufen Witthüser & Westrupp von der LP "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten"
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FRÜHSTÜCK MIT MUSIK
MÄDELS
TODESANZEIGE DER WOCHE |
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1. ESSENER KOMMUNE |
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ach dem Ende meiner Wehrdienstzeit beziehe ich ein Penthaus-Zimmer in der Viehofer Str. 15 in der Innenstadt von Essen - nicht wirklich die feinste Gegend der Stadt, doch von daher auch für einen armen arbeitsuchenden Musiker bezahlbar. Ganz früher fuhr eine Straßenbahn durch diese enge Gasse, zu meiner Zeit wurde diese Autostraße aufgerissen, über ein Jahr lang mit neuen Leitungen und Kabeln und Rohren versehen, dann zur Fußgängerstraße umgewandelt - und damit war der Parkraum vor dem Haus endgültig Geschichte. Hier also liegen besagte fast konspirativ zu nennende Dachgeschosszimmer - natürlich ohne Aufzug - in der 5. Etage (leider ist auf dem Foto links das Dach mit den dort liegenden Apartments nicht zu sehen - bin einfach zu klein...). |
Hier wohnt Bernhard Witthüser
und einige andere Freaks bereits seit
einiger Zeit, nun stoße auch ich dazu. Wir (also
W&W) haben uns
inzwischen ausgesprochen (er lebt mittlerweile alleine ["von einer Frau lassen wir uns nicht
noch einmal
auseinanderbringen"]) und endlich soll an diesem Ort die Saat der Songtage aufgehen: es folgt die Zeit
der 1. Essener
Kommune. Ich lerne (neben vielen und vielem Anderen) die Macher der Songtage (R.U.Kaiser,
Tom Schröder, Hendryk M. Broder, Reinhard Hippen) persönlich
kennen - und 2 Jahre später bespielen Witthüser & Westrupp auf dem 3. Essener
Pop- & Blues-Festival tatsächlich die Bühne der
Gruga Halle, auf der ich damals Zappa beim IEST gesehen habe. Damit
schließt sich der Kreis: all das, was auf mich eingeströmt ist bei
meinem Besuch der IEST 1968, kann und wird nun endlich in die Tat umgesetzt und
gelebt: hier und jetzt beginnt meine/unsere Sturm- und Drangzeit. |
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ohnen und Leben in den 6 „Apartments“ der Etage (gleichbedeutend mit 6 „Wohnungen“, das entspricht tatsächlichen 6 „Zimmerchen“, die im normalen Immobilienmarkt als „Besenkammer“ bezeichnet werden müssten [?!]), ist ein nahezu unbeschreibliches Erlebnis. Ich will damit sagen: diese "Zimmer" sind verdammt klein geraten - ich lass jetzt die blöden "" weg - ein jedes ist zwischen 10,5 und 12 m² groß und fast zur Hälfte mit einer Riesenschräge verkleinert. Zudem steht in jedem Raum ein riesiges Kombigerät (Kühlschrank/Spüle/Herd/Waschbecken am Stück) - da bleibt nicht viel Platz für Möbel, Schränke oder Betten. Mein Raum hat 10,5m², eine Matratze passt grade so unter die Schräge, ein runder Couchtisch mit abgesägten Beinen ist Mittelpunkt des Zimmers, ein selbstgebautes Bücherregal dient als Raumteiler zum Einbauschrank, wo die überschaubare Zahl meiner Anzieh-Klamotten Platz findet. Zwei Poster an der Wand, ein Hänge-Regal für Gewürze neben dem Durchlauferhitzer und das selbstgebaute Standregal am Fußende des Bettes für den kleinen Fernseher und den Plattenspieler, ein paar Kissen auf dem mit Reismatten ausgelegten Boden als Sitzmöbel: damit ist dieser Raum voll ausgereizt und mehr passt einfach nicht rein. | |
Als meine Mutter mich zum 1. und einzigen Mal dort besucht, ist ihr eine gewisse Erschütterung kaum anzumerken. Beim Abschied flüstert sie mir ins Ohr: "Du weißt, dass Du immer in Dein altes Zimmer zurück kannst!". Ja klar: das zählt gut doppelt so viele m², die lichtdurchflutet sind, mit 2 Fenstern und einem kleinen Balkon - aber solche Angebote sind natürlich keinen ernsthaften Gedanken wert. Ich bin voll zufrieden mit dem, was ich hier mein Eigen nennen kann. Haben mir meine Eltern doch selber beigebracht: Mein Kind, du musst dich immer nach der Decke strecken! Ziehe ich voll durch - sogar die Decke teilen und zusammen drunter kriechen ist hier im Obergeschoss des Öfteren angesagt - vor allem im Winter, denn dann ist solches Tun sogar unbedingt notwendig und überlebenswichtig. Ursprünglich wohl nicht als Wohnraum gedacht, ist das Dach relativ ungedämmt, und wenn dann noch die Heizungsanlage die Wärme nicht bis zu uns nach oben in die Heizkörper hochgedrückt bekommt, wird es ganz schnell saukalt und wir rücken tatsächlich enger zusammen, wärmen uns gegenseitig und warten darauf, das eines unserer Domizile (KZ, JZ, Podium, POP IN etc.) endlich öffnet und wir dort auftauen können. Im Sommer gibt es logischerweise den gegenteiligen Effekt: die Hitze flirrt auf den Dachpfannen und in unseren Zimmern, Durchzug können wir mit den kleinen Dachfenstern nicht wirklich erzeugen - da hilft dann nur ein Fußbad bei der badenden Jungfrau auf dem Kennedy-Platz. |
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radezu
unbezahlbar ist dagegen der wunderschöne Ausblick
auf die Dächer der Stadt, den ich genießen kann, wenn ich mich durch die kleine Fensterluke
quetsche, und durch die - wenn die Scheiben geputzt wären - ein paar Sonnenstrahlen das Zimmer
etwas aufhellen würden. Keinesfalls unerwähnt lassen möchte ich den Luxus einer Toilette und einer Dusche - für alle. Diese Art von Gemeinschaftseigentum (in den 20er-Jahren
des 19. Jahrhunderts ja durchaus üblich) ist für
„Altbewohner“ ganz normal, bedeutet für
einen Neueinsteiger bzw. Anfänger aber eine tiefe Zäsur in seine bisherige
Lebensform und somit ein einschneidendes existenzielles Erlebnis - auf das
ich allzu gerne verzichtet hätte. Auf den mir zur Verfügung stehenden "eigenen"
m² komme ich mir mit meinen immerhin 165 cm Körpergröße wie ein Riese
vor - zurückblickend erscheint mir
meine Stube in der Kaserne gegen dieses Loch wie ein riesiges
Luxus-Apartment. Aber mekkern giilt nicht: ich habe ein eigenes Zimmer –
eigene
3 Wände plus Schräge!
...doch hab´ ich die wirklich? |
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Die Türen einer jeden "Wohnung" stehen generell alle offen und jeder der Mitbewohner verfügt über mindestens eine Stereo-Anlage, die den ganzen Tag über zweckentsprechend betrieben wird. Da läuft die Musik aus den Lautsprechern, wabert über den Flur und vermischt sich in den Zimmern. Das führt dazu, dass bei dem Versuch, auf der eigenen Anlage eine Beatles-LP anzuhören, der Musikliebhaber plötzlich ein neues einzigartiges quadrofonischen Klangerlebnis erfährt, bei dem die Beatles ihre Besetzung um Eric Burdon, Golden Earing, Rod Stewart und die Stones erweitert haben, und dieser Sound (?) erinnert dann stellenweise an den Free-Jazz, mit dem manche Folkwang-Studenten des abends im PODIUM ihre extrem kleine Fangemeinde quälen. Kommunarde Sternheimer, der sich eine leistungsstarke 3 D-Lautsprecheranlage zusammengelötet hat und bei seinen Verdrahtungsarbeiten so manches Mal die gesamte Etage strommäßig lahmlegte, war uns Anderen gegenüber auf diesem Gebiet definitiv im Vorteil und konnte sich daher meist mit seinen musikalischen Vorlieben durchsetzen (ich gönne mir daraufhin Sennheiser-Kopfhörer und überhöre ab da aufdringliche Geräusche). Mittels der in unseren Räumen herumschwirrenden Schallwellen ist unser Hauses das einzige Gebäude in der ganzen Stadt, das meiner objektiven Meinung nach im Takt wackelt. Tatsächlich gewöhne ich mich relativ schnell an all diese in einer solchen Gemeinschaft üblichen Abläufe und Gegebenheiten, sogar wenn bei einem trauten intimen tête a tête jemand ohne Vorwarnung ins Zimmer stürzt - nicht mal ein leises „Entschuldigung“ für nötig hält - und nach Butter fragt oder warum die Dusche (mal wieder) nicht funktioniert, wer denn Putzdienst hat - als hätte ich grade nix anderes im Kopp. Sag ich was, kommen Verse wie: "soll ich etwa warten, bis Du endlich fertig bist?" - also lieber nix sagen, ignorieren, weitermachen .. | |
1. ESSENER KOMMUNE
MÄDELS
TODESANZEIGE DER WOCHE |
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DIE SACHE MIT DEN MÄDELS |
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ur
Info: Wenn so gut wie fast nie oder nur andeutungsweise von Begegnungen
mit dem anderen Geschlecht berichtet wird, so heißt das nicht, dass wir
schwul sind (was bei einer 2-Mann-Boy-Group oft unterstellt wird).
Leute: Ihr hättet mal das Gestöhne und Geschreie tagaus/nachtein
miterleben sollen, das bei abdachigem Wind sehr gut noch auf der
Straße unten zu hören war, vor allem Bernds akustische Anleihen bei Klaus
Kinskis Interpretationen von Francois Villons Gedicht "Ich
bin so wild nach Deinem Erdbeermund, ich schrie mir schon die Lungen
wund nach Deinem weißen Leib, Du Weib...". Denn sie kommen uns besuchen und sind uns sehr willkommen: nette neugierige Mädels aus gutem Haus, die ihrem bourgeoisem Umfeld entfliehen und eintauchen wollen in ein anderes ungezwungenes freies psychedelisches Leben - einmal, zweimal, manche für länger oder immer mal wieder... |
Aus dieser Zeit stammt das "Liebeslied", ein Text von Thomas Rother, den wir von zwei auf drei Personen erweitert haben: Frag uns nicht, woher
und wohin Schreibe auf den
Bauch uns Deinen Namen Halt uns fest, doch
halte uns nicht Heute sind wir Dreie
uns nah´ |
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ch
habe mich anfangs schwer getan bei der "Sache mit den Mädels".
In meiner beschützten Jugend in einem christlichen Elternhaus ging es in
der Erziehung von Anfang an um die Vermittlung moralischer Grundwerte (die
mich später des Öfteren vor Abstürzen bewahrt haben), aber nicht um Sexualität.
Bis zur Pubertät habe ich eigentlich nur mit zwei
Personen weiblichen Geschlechts Umgang gehabt: meiner Mutter und meiner
Schwester. Ansonsten tote Hose: mit den Volkschul-Mädels konnte ich nix
anfangen - die wollten nicht mit mir auf der Trümmer spielen. In die
Jungschar durften nur Jungs. Meine Schule hieß "Realschule für Jungen
Essen-West": der Name
sagt mehr als 1000 Bilder. Am Konfirmandenunterricht nahmen Mädchen teil,
die waren körperlich 10 Jahre weiter als ich und gibbelten ununterbrochen
- da lief mal garnix, und auf den Baustellen während meiner Lehrzeit malochten auch nur Männer.
Erst
mit meiner Skiffle-Truppe "The Night Revellers" geht es so langsam los - aber ich agiere in der
Beziehung zum anderen Geschlecht zunächst sehr zurückhaltend - um das
Wort schüchtern zu vermeiden. Manche Mädels finden das süß, dass sie
nicht sofort überfallen wurden - andere sind schneller wieder weg, als ich
gucken kann, weil ich nicht zu Potte komme: es ist wahrlich kein leichter
Lernprozess. Als meine Mutter mich dann endlich
aufklären will, hätte ich schon mehrfacher Vater sein können - zum
Glück gibt es da bereits die Pille. |
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Erinnerungen eines Alt-Hippies |
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UNSERE FLUGBLÄTTER n dem Lied „wenn ich ein wenig fröhlicher wär´“ (siehe Text oben) sind unsere Erfahrungen auf der Kettwiger Straße und generell in der City sehr treffend beschrieben. Unter dem Motto von damals „macht kaputt, was Euch kaputt macht“ will „Sternchen“ Sternheimer immer wieder mal eine Bombe bei Karstadt platzieren – zum Glück für ihn und uns und die möglichen Opfer hat er nie Sprengstoff zur Hand – aber verbal war der Bau schon 10x weggeblasen. Wir persönlich gehen es langsamer und ruhiger an, sitzen auf den Sockeln am Burgplatz, kiffen so vor uns hin (die wenigsten der Passanten wissen, was da so qualmt und so gut riecht), blasen Seifenblasen über die Kettwiger und lassen den Herrgott einen guten Mann sein. Immerhin versuchen wir, die vorüber hastenden Passanten über unser (Nichts-)Tun zu informieren und vielleicht sogar zu inspirieren: Wir verteilen großzügig unsere selbstverfassten und per Matrizendrucker vervielfältigten Flugblätter, z.B. „Wie drehe ich einen Joint“ mit der Anleitung für den großen 3-blättrigen – oder Auszüge aus dem „Almanach der Rauschmittel“ mit Wirkungsangaben - als bewusstseinserweiternde Weiterbildung "on the road" & "...to go". |
einen
1. Joint, den ich nie vergessen werde, habe ich Mitte 67 in einer WG
irgendwo in Frohnhausen genossen, und es war eine tolle und nachhaltige Erfahrung. Ich hatte
zunächst Spaß ohne Ende, weil ich
glaubte, alle Personen um mich herum zu durchschauen, ja ich erstickte
fast an meinen Lachanfällen. Und ich „erlebte“ Musik, in der ich
grade zu aufstieg in ungeahnte Höhen: so hatte ich Musik noch nie gehört.
Um mich herum vertraute Umgebung, nette Menschen, die ich kannte und schätzte:
ich fühlte mich rundherum wohl. |
Ein
WITTHÜSER
& WESTRUPP - Flugblatt: Nur so nimmst Du Deinen Trip richtig |
Wir haben viele Lieder in Trips und über Trips gemacht. Wir hatten gute Trips; viele Leute haben schlechte Trips. Warum? Sie haben sich nicht darauf vorbereitet, sondern sie wegen irgendeiner Mode konsumiert. Wir wollen euch helfen. Denn der Trip an sich ist nichts Schlechtes. Nur wer ihn falsch nimmt, der wird Ungutes erfahren. Was wir hier über den Trip sagen, gilt für Haschisch, Marihuana und LSD, aber NIE für Heroin. Nimm es nicht; es tötet dich. Und du wirst damit NIEMALS die Schönheit eines Trips erleben. Aus
der kanadischen Zeitung „Georgia Straight“ haben wir eine
Reiseanleitung übernommen. Sie bezieht sich auf „Sunshine“, den stärksten und
schönsten aller LSD-Trips. Wir haben sie etwas umformuliert - somit gilt
sie allgemein für Trips - und auch für Hasch. Lies und beachte diese Regeln
und denke immer daran: Trips sind Schlüssel, dir dein Leben und den
Kosmos aufzuschließen. WER SIE GEDANKENLOS UND HEMMUNGSLOS FRISST,
WIRD NIE DIE SCHÖNHEIT SEHEN! |
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Dieses unser wirklich gutgemeintes Flugblatt bringt uns prompt die Anzeige eines Pastors ein: er will es als Aufruf zum Drogenkonsum verstanden haben. Seine Klage wird schließlich abgeschmettert (das dauert aber noch recht lange - da leben wir schon in Dill und die ganze Angelegenheit wird beim königlich-hunsrückschen Amtsgericht zu Simmern verhandelt – und die wussten überhaupt nicht, um was es wirklich ging) |
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1. ESSENER KOMMUNE
FRÜHSTÜCK MIT MUSIK
MÄDELS
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STUDIUM as Podium – wie schon gesagt – geht mit seinem Programmkonzept nach gut einem Jahr leider wirklich pleite. Neue Pächter mit anderem Konzept übernehmen den Laden und richten ihn neu aus. Leider sind wir für die Neuen als Angestellte nicht mehr bezahlbar - klar: gutes Personal kostet nun mal! Wir finden das logischerweise äußerst schade, aber als verzehrende Gäste schaffen wir vor Ort jeden Abend weiterhin unser Pensum weg (schließlich gehören wir zum Inventar und der Laden ist uns im Laufe der Zeit irgendwie an unsere Herzen gewachsen: es ist quasi unser 2. Zuhause mit Familienanschluss). Ab und an treten wir dort noch auf - für freien Eintritt & freies Trinken (das ist dann teuer genug für den Wirt) und testen auf der kleinen Bühne unser neuestes Songmaterial unter Konzertbedingungen - mit anschließender Diskussion. Aber was können wir
ansonsten mit unserer jetzt im Überfluss vorhanden freien Zeit Sinnvolles
anfangen?
Saufen, kiffen, gammeln, Musik hören und Mädels abschleppen? Oder mal
wieder in
die Lichtburg gehen und zum fünfzehnten mal M.A.S.H. gucken (gut - wir
brauchen nix bezahlen, wir kennen den Filmvorführer). Nein: Wir
suchen eine konkrete Aufgabe, ein Ziel, eine stilvolle Beschäftigung,
eine emotionale Herausforderung, eine daseinsberechtigende Tätigkeit:
eben etwas, das unserem Leben wieder einen Sinn gibt. er
suchet, der findet: da Gott und die Welt sowie alle, die wir kennen und
kannten und auch all die Anderen, die wir bis dato noch nicht kennen
gelernt haben, studieren oder studiert haben oder zumindest einmal in
ihrem Leben an irgendeiner Uni eingeschrieben gewesen sein wollen, wird es
für uns immer deutlicher: AUCH WIR WERDEN STUDIEREN!! Wir müssen studieren,
um gesellschaftlich weiterhin akzeptabel zu sein und auf Dauer auch zu
bleiben. Welcher Makel doch im Leben, wenn wir dereinst zugeben müssten:
nein, wir haben nie nicht studiert. |
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SO SEHEN STUDENTEN AUS... |
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Wir kaufen uns von unserem letzten Geld einen alten klapprigen Opel bei unserem Lieblings - Gebrauchtwagenhändler Reintges (damals klein aufm Hinterhof, durch die damaligen Umsätze mit uns dann irgendwann einer der größten Autodealer des Ruhrgebietes - da wir aber in letzter Zeit [!?] nix mehr bei ihm kaufen, jetzt Pleite) und düsen fortan Tag für Tag in aller Herrgottsfrühe los und studieren wie die Wilden. Der Titel „Student“ tut unserem Ego ungeheuer gut (wird Zusatz auf unseren Visitenkarten), zudem lernen wir manch Sinnvolles für die Praxis (Fingerhakeln, Schiffe versenken, blau machen) als auch musiktheoretisches Grundwissen, ätzend und zäh und - wie früher Erdkunde in der Schule – im wirklichen täglichen Folk-Rock-Musiker-Leben aber einfach kaum anwendbar. |
ittags geht´s zurück in die Heimat, und da wir noch keine Aktienpakete in irgendwelchen Depots in Macao haben und auch die Kontoauszüge generell einen Niedrigststand ausweisen, der weit unter der Überlebensgrenze von Studenten liegt, begeben wir uns notgedrungen in leibeigenschaftsähnliche Beschäftigungsverhältnisse. |
Ich fahre nachmittags mit
meinem holländischen Bromfiets zur Essener Uhrenersatzteilfirma Flume (natürlich nicht im
Nachthemd!), wo ich die Artikel-Kartei auf ein neues Suchsystem umstellte
(ich wusste bis dato gar nicht, aus wie vielen verdammt kleinen Teilchen
eine simple normale Armbanduhr besteht und wie viele Marken es gibt – und dazu kommen dann noch Wecker, Wand-,
Sans-, Stand-, Kuckucks- und
Kirchturmuhren ...). Aber ich erledige meine Arbeit wohl oder übel und ganz
zufriedenstellend (?) und werde diesmal nicht sofort nach 3 Tagen direkt wieder rausgeschmissen. |
Was mir bei dieser meiner Firma den meisten Spaß bereitet: einmal in der Woche spiele ich nun in der Betriebsportgemeinschaft Fußball im vorgezogenen halblinken Mittelfeld. Die Mannschaft verliert dank meiner hervorragenden Kondition und auf Grund meines immensen Lungenvolumens, das ich als Blasmusiker nun mal habe und das mich weite Wege gehen lässt, zwar weiterhin 2-3stellig, nein - ich schieße sogar mal ein Tor (oder waren es gar 2(!]) und wir verlieren darob zum ersten und einzigen Mal nicht zu null - klar. Mit diesem/n Treffer/n führe ich bis zu meinem Ausscheiden einsam die interne Torschützenliste an. Ja gut: dieses "Bötschen" ist nicht so unser Ding, aber beim an- und abschließenden Feiern nach den Spielen sind wir mit weitem Abstand die Allerbesten.. Bernhard gibt derweil Gitarrenunterricht an der Volkshochschule in Essen – und so halten wir uns finanziell irgendwie am Leben: als studierende Sozialfälle ohne Unterstützungsperspektive leben wir glücklich und zufrieden am Rande des Existenzminimums in dem unerschütterlichen Bewusstsein, dass es irgendwann mal besser werden wird und wir die Mietrückstände ausgleichen können; ganz zu schweigen von den unbezahlten Platten-Rechnungen im Musikladen unten im Haus. Und auch die Deckel im Podium, die schon Wagenradgröße erreichen, wollen wir ja irgendwann mal bezahlen können oder sollen oder so... Denn abends/nachts sind zum Ausgleich der Hormone und zur Pflege mit- und zwischenmenschlicher Beziehungskisten Besuchs- und Arbeits-Exerzitien im Podium oder POP-IN und/oder bei Ampütte angesagt – bis dem Morgen graut. |
iese unsere wilde Studentenzeit dauert fast ein (!) ganzes langes Jahr, bis uns der Erfolg überrollt und wir (leider) nicht mehr die Zeit finden, unsere Dozenten mit unserem Wissen und Können zu ekstatischen Ausrufen wie „Mein Gott“ oder „Das gibt´s doch nicht“ bis hin zu „das hab ich ja noch nie gehört“ zu treiben: die haben uns bis heute nicht überwunden. „Meine“ Firma steht nach meinem Ausscheiden kurz vor dem Konkurs (niemand findet mehr etwas wieder) und den Gitarrenkurs von Bernhard übernimmt der Lautenspieler vom „Wanderclub Mandoline“ aus Essen-Steele/Süd – wir hinterlassen fast nicht zu schließende Lücken – aber das ficht uns nicht weiter an. Zu groß, zu mächtig sind neue Herausforderungen und Aufgaben, denen wir nun gegenüber stehen und die von uns zu bewältigen sein wollen (?), als dass wir noch einen müden Blick zurück hätten werfen können. (Das Leben ist eben manchmal sehr hart und wirklich ungerecht – aber Klasse). Außerdem sind wir durch unsere "Berufs"-Erfahrungen zu der Erkenntnis gekommen: abhängige Arbeit (und sei es nur ein Studium) ist Scheiße – sie hemmt einen nur bei der kreativen Bewältigung des Daseins / des Hierseins / des ICH-Seins! |
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FRÜHSTÜCK MIT MUSIK
MÄDELS
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DIE STADT ESSEN | |
Keine
Altstadt, kein Fachwerkhaus Stahl & Beton - ohne Pardon doch ungebrochen und versessen bin ich besessen von meinem Essen: im schönsten Wiesengrunde - dem schönen Schönebeck |
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Liedtext aus "Downtown Essen" - WhcMP 2004 - Text & Musik: Walter Westrupp |
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ur Stadt Essen will ich - ja muss ich - an dieser Stelle ein paar zugegebenermaßen recht subjektive Sätze los werden: hier leben wir, hier wirken wir, hier ist unser "Zuhause" und hier ist unser Publikum. Und dennoch... | |
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Essen ist eine Industriestadt im Zentrum des Ruhrgebietes (seinerzeit über 600.000 Einwohner), sie besteht aus einer Menge von Stadtteilen (ca. 50) und einer fast unbewohnten City - die im Krieg total zerbombt und deren übrig gebliebene repräsentablen Häuser wie das alte Rathaus (links) auch noch zugunsten von hässlichen unpersönlichen Waren-Häusern abgerissen wurden, um auch diese nach einigen Jahren wieder verschwinden zu lassen und durch noch hässlichere Betonburgen in 08/15-Architektur zu ersetzen: eine vorausschauende Stadtplanung ist nicht ersichtlich - es gibt hier so gut wie keine Verweilmöglichkeiten, keine Außengastronomie, keine Wohlfühloasen, keine gewachsene Struktur - nur Handel im Wandel. |
In die City fährt, wer dort arbeiten oder städtische Ämter besuchen oder eine größere Anschaffung in einem der Warenhäuser tätigen muß. Sonstige Anlaufpunkte sind abends ausschließlich Eventlocations wie angesagte Tanzpaläste (San Francisco, First Saloon, Top Ten für Teens und Twens) und die großen Lichtspielhäuser (mit der Lichtburg als größtem Kino Deutschlands vorneweg) - und die städtischen Kulturbetriebe wie Oper und Schauspiel: subventionierte Bühnen für die Eliten. (Ich werde nie den widerwilligen Gesichtsausdruck samt hochgezogenen Mundwinkeln und die abgespreizten Finger der Garderobenfrau im Grillo Theater vergessen, als ich bei meinem einzigen Theaterbesuch anlässlich Hochhuths Stellvertreter-Vorstellung meinen abgewetzten Parka dort abgab: dass sie mich nicht angekotzt hat, wundert mich heute noch...). Auch mit Jahrmärkten und Groß-Kirmes wird verzweifelt versucht, Menschen in die Stadt zu locken - klappt aber auch nicht so richtig. | |
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FRÜHSTÜCK MIT MUSIK
MÄDELS
Und dann liegt da noch diese unangenehme Angelegenheit unerledigt herum: MEINE
KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG -
en harten Dienst am/fürs Vaterland (siehe Bild oben) habe ich heldenhaft und ohne nennenswerte Verletzungen abgeleistet und überstanden - nur: das war ja quasi gewissermaßen Späßchen in Friedenszeiten. Mir wird mit etwas Abstand klar und deutlich: noch mal willst Du so etwas nicht mitmachen - vor allem nicht, wenn´s mal richtig kracht. Bei meiner ehrenhaften Entlassung aus dem Dienst fürs Volk habe ich ein off. Schreiben vom Bundesminister für Verteidigung erhalten, in dem er mir unter dem Blausiegel der Verschwiegenheit mitteilt, dass ich mich im Ernstfall an einer Brücke (welche sage ich nicht, das ist Geheimsache - und ich bin entsprechend vergattert) einfinden soll, um diese zu verteidigen! Watt soll ich? Ich habe doch nur kellnern und Billard spielen gelernt während meiner "Ausbildung"! Daher nehme ich an, dass ich dort die aktiven Kämpfer mit Getränken versorgen soll - im Granatenhagel einen Caipirinha servieren - und vielleicht ein bisschen Ukulele spielen im Bombenhagel. Aber wer hört mir da zu? Neee, das kann es doch nicht sein. ch beschließe nach schwersten inneren K(r)ämpfen, den dornenreichen und langen Weg eines Kriegsdienstverweigerungsverfahrens zu beschreiten. Ich bereite mich mit Freunden/innen, Insidern, Rechtsanwälten sowie sonstigen Fachleuten aus unserem Dunstkreis auf dieses Verfahren vor und formuliere meinen Antrag nach bestem Wissen & Gewissen. An einem verregneten Tag Ende September 1969 werfe ich ihn - unterschrieben und ausreichend frankiert - in den Briefkasten. Flugs nach 2 Monaten werde ich aufgefordert, diese meine Gründe (in Ruhe) noch einmal ausführlich und schriftlich so zu fixieren (Werdegang, berufliche [?] Pläne, Lebenslauf, Hobbies, gemeinnützige Tätigkeiten etc.), auf dass die Jury bei ihrer Entscheidung meine gesamte Persönlichkeit und mein sittliches Verhalten entsprechend zu berücksichtigen in der Lage sein könne. Zudem solle ich 2 Zeugen namentlich mit Postleitzahl (also wohl festem Wohnsitz) aufbieten, die meinen drängenden Wusch und die innere Qual, die Ursache dieses Verlangens nach Verweigerung sei, bestätigen können. ie
ersten Punkte erfülle ich schnell - da haben meine Berater genügend
Vorlagen (auch wenn es damals das Internet noch nicht gibt). Jetzt noch
2 Zeugen. Da ist zunächst unsere langjährige Weggefährtin Bärbel
Saß, die mir schriftlich bestätigt, dass ich schon immer (also
solange sie mich kennt) gegen Krieg bin. Das untermauert sie mit Zitaten
und Aussprüchen, die ich während verschiedener Gelegenheiten von mit
gegeben habe (an einige konnte ich mich selber gar nicht mehr
erinnern...): ls zweiter Zeuge ist Bernhard "Clear light" Witthueser benannt, Mitbegründer der von uns ins Leben gerufenen Jesus-Pilz-Bewegung (?!). Leider liegt mir das Originalschreiben nicht mehr vor, ich weiß aber noch von vielen Brösel-Zitaten aus dem Positionspapier der Bewegung, die hier angeführt werden und für uns ja nun quasi Gesetz sind. Sie allesamt untermauern, dass ich wie ein Apostel einzustufen sei und meine religiösen Grundwerte mir daher den Dienst an und mit einer Waffe absolut verbieten. Das Schreiben ist mit Buntstiften wunderbar ummalt, Fliegenpilze und Hanfblätter sind auf wundersame Art mit eingearbeitet: geradezu ein Kunstwerk - eigentlich viel zu schade für einen Kriegsdienstverweigerungs-Ausschuss. Das alles zusammengepackt in einen Umschlag schicke ich im Dezember 69 auf den Weg ans Kreiswehrersatzamt in D´dorf. Ende April 70 werde ich zu einer mündlichen Verhandlung vorgeladen. Leider kenne ich mich in Düsseldorf nicht so richtig aus und bin zur geforderten Zeit in Duisburg (da weiß ich besser Bescheid - hier bin ich schließlich drei Mal gemustert worden). Die kennen mich auch noch, sind sehr hilfsbereit und erklären mir den Weg nach Düsseldorf, und mit nur 75-minütiger Verspätung erreiche ich abgehetzt den Ausschuss, aber da wollen die mich nicht mehr vernehmen mit dem vorgeschobenen Argument, ich hätte keinen gültigen Personalausweis dabei. Was brauch ich einen Ausweis, wenn ich persönlich anwesend bin...? Eine erneute Einladung geht (wahrscheinlich wie immer auf dem Postwege) verloren, so dass ich nicht persönlich anwesend sein kann/darf, was dem Ausschuss wohl sehr lieb ist: er entscheidet im Mai 1970 gegen mich mit der Begründung, ich müsste mir die Aussagen meiner beiden Zeugen anlasten lassen... Mein Antrag wird abgelehnt. Das trifft mich schwer - aber es wirft mich nicht aus der Bahn. Nachdem wir die Jesus-Pilz-Bewegung in Deutschland ausgiebig publiziert und unsere Missionarstour durch die deutschen Kirchen hinter uns gebracht haben, schlage ich dieses bisher unbefriedigend verlaufene Kapitel wieder auf. Im März 1972 formuliere ich von Dill aus (wo wir jetzt unser Domizil haben) meinen Einspruch wie folgt: |
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ja, das sitzt, dachte ich: Wie gesagt: wir schreiben März 1972. Doch schon zwei Wochen später wird mir mitgeteilt, dass ich diesen meinen Einspruch verspätet eingereicht habe (Frist war angeblich Mitte Juni 1970 abgelaufen). Aber: was sind zwei Jahre, wenn´s um mein Gewissen, wenn es um meine ehrliche innere Überzeugung geht: die wechsele ich doch nicht jährlich wie meine Unterhose... Die Sache ruht jetzt, aber in mir sieht das ganz anders aus. Täglich überkommt mich beim morgendlichen Gang zum Briefkasten ein beklemmendes Gefühl, und ist ein länglicher blauer Brief im Kasten, falle ich jedes Mal in eine tiefe Ohnmacht: das muss der EINBERUFUNGSBEFEHL sein. Ich öffne irgendwann überhaupt keine blauen Briefe mehr (habe ich als Kind auch nie gemacht), verklebe sogar kurzzeitig den Briefkastenschlitz. Aber da erreichen mich die überlebenswichtigen GEMA-Abrechnungen nicht mehr - also geht das Zittern weiter. Und dann, im Jänner 1979, ist das Schreiben da: nach unendlich langen 3 Wochen kann ich mich überwinden und plane die Öffnung. Wie bei einer Bombenentschärfung habe ich alle Familienmitglieder und die Hunde fortgeschickt. Ich gehe in den Keller: bei Kerzenlicht reiße ich vorsichtig den Umschlag auf: Jawohl - betrifft meinen Einberufungsbescheid. Ich lege mir das Seil um den Hals - aber es ist kein Stuhl da. Ich will mir die Tränen abwischen - und habe auch meine Taschentuch vergessen. Also nehme ich das Scheiben (dann ist es doch wenigstens noch für etwas gut) und will mir die Tränen damit abwischen - da sehe ich, dass dieser Bescheid meinen bisherigen Einberufungsbescheid für den Verteidigungsfall aufhebt und ich mit einem neuen Bescheid vorerst nicht zu rechnen habe. YIPPIE - ich habe überlebt. |
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1. ESSENER KOMMUNE FRÜHSTÜCK MIT MUSIK MÄDELS TODESANZEIGE DER WOCHE FLUGBLÄTTER • STUDIUM STADT ESSEN KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG |
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68er nach
Noten - Kapitel 3: Viehofer Str.15
©
2003 by Walter Westrupp - letztes
update November 2021