Viehofer Str. 15 - 68er nach Noten - Witthüser Westrupp - Essener Songtage 68 - 1. Kommune in der Stadt Essen, LSD etc. |
Wenn ich ein wenig fröhlicher wär´
Ich würd´ auf alle Schulden scheißen Ich würd alles, was ich hab, verkaufen Witthüser & Westrupp von der LP "Lieder von Vampiren, Nonnen und Toten"
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1. ESSENER KOMMUNE |
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Hier wohnt Bernhard Witthüser
und einige andere Freaks bereits seit
einiger Zeit, nun stoße auch ich dazu. Wir (also
W&W) haben uns
inzwischen ausgesprochen (er lebt mittlerweile alleine ["von einer Frau lassen wir uns nicht
noch einmal
auseinanderbringen"]) und endlich soll an diesem Ort die Saat der Songtage aufgehen: es folgt die Zeit
der 1. Essener
Kommune. Ich lerne (neben vielen und vielem Anderen) die Macher der Songtage (R.U.Kaiser,
Tom Schröder, Hendryk M. Broder, Reinhard Hippen) persönlich
kennen - und 2 Jahre später bespielen Witthüser & Westrupp auf dem 3. Essener
Pop- & Blues-Festival tatsächlich die Bühne der
Gruga Halle, auf der ich damals Zappa beim IEST gesehen habe. Damit
schließt sich der Kreis: all das, was auf mich eingeströmt ist bei
meinem Besuch der IEST 1968, kann und wird nun endlich in die Tat umgesetzt und
gelebt: hier und jetzt beginnt meine/unsere Sturm- und Drangzeit. |
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Als meine Mutter mich zum 1. und einzigen Mal dort besucht, ist ihr eine gewisse Erschütterung kaum anzumerken. Beim Abschied flüstert sie mir ins Ohr: "Du weißt, dass Du immer in Dein altes Zimmer zurück kannst!". Ja klar: das zählt gut doppelt so viele m², die lichtdurchflutet sind, mit 2 Fenstern und einem kleinen Balkon - aber solche Angebote sind natürlich keinen ernsthaften Gedanken wert. Ich bin voll zufrieden mit dem, was ich hier mein Eigen nennen kann. Haben mir meine Eltern doch selber beigebracht: Mein Kind, du musst dich immer nach der Decke strecken! Ziehe ich voll durch - sogar die Decke teilen und zusammen drunter kriechen ist hier im Obergeschoss des Öfteren angesagt - vor allem im Winter, denn dann ist solches Tun sogar unbedingt notwendig und überlebenswichtig. Ursprünglich wohl nicht als Wohnraum gedacht, ist das Dach relativ ungedämmt, und wenn dann noch die Heizungsanlage die Wärme nicht bis zu uns nach oben in die Heizkörper hochgedrückt bekommt, wird es ganz schnell saukalt und wir rücken tatsächlich enger zusammen, wärmen uns gegenseitig und warten darauf, das eines unserer Domizile (KZ, JZ, Podium, POP IN etc.) endlich öffnet und wir dort auftauen können. Im Sommer gibt es logischerweise den gegenteiligen Effekt: die Hitze flirrt auf den Dachpfannen und in unseren Zimmern, Durchzug können wir mit den kleinen Dachfenstern nicht wirklich erzeugen - da hilft dann nur ein Fußbad bei der badenden Jungfrau auf dem Kennedy-Platz. |
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Die
Türen einer jeden "Wohnung" stehen generell alle offen und jeder der![]() |
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DIE SACHE MIT DEN MÄDELS |
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Denn sie kommen uns besuchen und sind uns sehr willkommen: nette neugierige Mädels aus gutem Haus, die ihrem bourgeoisem Umfeld entfliehen und eintauchen wollen in ein anderes ungezwungenes freies psychedelisches Leben - einmal, zweimal, manche für länger oder immer mal wieder... |
Aus dieser Zeit stammt das "Liebeslied", ein Text von Thomas Rother, den wir von zwei auf drei Personen erweitert haben: Frag uns nicht, woher
und wohin Schreibe auf den
Bauch uns Deinen Namen Halt uns fest, doch
halte uns nicht Heute sind wir Dreie
uns nah´ |
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Erst
mit meiner Skiffle-Truppe "The Night Revellers" geht es so langsam los - aber ich agiere in der
Beziehung zum anderen Geschlecht zunächst sehr zurückhaltend - um das
Wort schüchtern zu vermeiden. Manche Mädels finden das süß, dass sie
nicht sofort überfallen wurden - andere sind schneller wieder weg, als ich
gucken kann, weil ich nicht zu Potte komme: es ist wahrlich kein leichter
Lernprozess. Als meine Mutter mich dann endlich
aufklären will, hätte ich schon mehrfacher Vater sein können - zum
Glück gibt es da bereits die Pille. |
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Erinnerungen eines Alt-Hippies |
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UNSERE FLUGBLÄTTER
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Ein
WITTHÜSER
& WESTRUPP - Flugblatt: Nur so nimmst Du Deinen Trip richtig |
Wir haben viele Lieder in Trips und über Trips gemacht. Wir hatten gute Trips; viele Leute haben schlechte Trips. Warum? Sie haben sich nicht darauf vorbereitet, sondern sie wegen irgendeiner Mode konsumiert. Wir wollen euch helfen. Denn der Trip an sich ist nichts Schlechtes. Nur wer ihn falsch nimmt, der wird Ungutes erfahren. Was wir hier über den Trip sagen, gilt für Haschisch, Marihuana und LSD, aber NIE für Heroin. Nimm es nicht; es tötet dich. Und du wirst damit NIEMALS die Schönheit eines Trips erleben. Aus
der kanadischen Zeitung „Georgia Straight“ haben wir eine
Reiseanleitung übernommen. Sie bezieht sich auf „Sunshine“, den stärksten und
schönsten aller LSD-Trips. Wir haben sie etwas umformuliert - somit gilt
sie allgemein für Trips - und auch für Hasch. Lies und beachte diese Regeln
und denke immer daran: Trips sind Schlüssel, dir dein Leben und den
Kosmos aufzuschließen. WER SIE GEDANKENLOS UND HEMMUNGSLOS FRISST,
WIRD NIE DIE SCHÖNHEIT SEHEN! |
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![]() Dieses unser wirklich gutgemeintes Flugblatt bringt uns prompt die Anzeige eines Pastors ein: er will es als Aufruf zum Drogenkonsum verstanden haben. Seine Klage wird schließlich abgeschmettert (das dauert aber noch recht lange - da leben wir schon in Dill und die ganze Angelegenheit wird beim königlich-hunsrückschen Amtsgericht zu Simmern verhandelt – und die wussten überhaupt nicht, um was es wirklich ging) |
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STUDIUM
Aber was können wir
ansonsten mit unserer jetzt im Überfluss vorhanden freien Zeit Sinnvolles
anfangen?
Saufen, kiffen, gammeln, Musik hören und Mädels abschleppen? Oder mal
wieder in
die Lichtburg gehen und zum fünfzehnten mal M.A.S.H. gucken (gut - wir
brauchen nix bezahlen, wir kennen den Filmvorführer). Nein: Wir
suchen eine konkrete Aufgabe, ein Ziel, eine stilvolle Beschäftigung,
eine emotionale Herausforderung, eine daseinsberechtigende Tätigkeit:
eben etwas, das unserem Leben wieder einen Sinn gibt.
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SO SEHEN STUDENTEN AUS... |
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Wir
kaufen uns von unserem letzten Geld einen alten klapprigen Opel bei
unserem Lieblings -
Gebrauchtwagenhändler
Reintges (damals klein aufm Hinterhof, durch die damaligen Umsätze mit
uns dann irgendwann einer der größten Autodealer des Ruhrgebietes - da
wir aber in letzter Zeit [!?] nix mehr bei ihm kaufen, jetzt Pleite) und
düsen fortan Tag für Tag in aller Herrgottsfrühe los und studieren
wie die Wilden. Der Titel „Student“ tut unserem Ego ungeheuer gut
(wird Zusatz auf unseren Visitenkarten), zudem lernen wir manch
Sinnvolles für die Praxis (Fingerhakeln, Schiffe versenken, blau
machen) als auch musiktheoretisches Grundwissen, ätzend und zäh und -
wie früher Erdkunde in der Schule – im wirklichen täglichen
Folk-Rock-Musiker-Leben aber
einfach kaum anwendbar. ![]() |
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Ich fahre nachmittags mit
meinem holländischen Bromfiets zur Essener Uhrenersatzteilfirma Flume ![]() Tagen direkt wieder rausgeschmissen. |
Was mir bei dieser meiner Firma den meisten Spaß bereitet: einmal in der Woche spiele ich nun in der Betriebsportgemeinschaft Fußball im vorgezogenen halblinken Mittelfeld. Die Mannschaft verliert dank meiner hervorragenden Kondition und auf Grund meines immensen Lungenvolumens, das ich als Blasmusiker nun mal habe und das mich weite Wege gehen lässt, zwar weiterhin 2-3stellig, nein - ich schieße sogar mal ein Tor (oder waren es gar 2(!]) und wir verlieren darob zum ersten und einzigen Mal nicht zu null - klar. Mit diesem/n Treffer/n führe ich bis zu meinem Ausscheiden einsam die interne Torschützenliste an. Ja gut: dieses "Bötschen" ist nicht so unser Ding, aber beim an- und abschließenden Feiern nach den Spielen sind wir mit weitem Abstand die Allerbesten.. Bernhard gibt derweil Gitarrenunterricht an der Volkshochschule in Essen – und so halten wir uns finanziell irgendwie am Leben: als studierende Sozialfälle ohne Unterstützungsperspektive leben wir glücklich und zufrieden am Rande des Existenzminimums in dem unerschütterlichen Bewusstsein, dass es irgendwann mal besser werden wird und wir die Mietrückstände ausgleichen können; ganz zu schweigen von den unbezahlten Platten-Rechnungen im Musikladen unten im Haus. Und auch die Deckel im Podium, die schon Wagenradgröße erreichen, wollen wir ja irgendwann mal bezahlen können oder sollen oder so... Denn abends/nachts sind zum Ausgleich der Hormone und zur Pflege mit- und zwischenmenschlicher Beziehungskisten Besuchs- und Arbeits-Exerzitien im Podium oder POP-IN und/oder bei Ampütte angesagt – bis dem Morgen graut. |
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Keine
Altstadt, kein Fachwerkhaus Stahl & Beton - ohne Pardon doch ungebrochen und versessen bin ich besessen von meinem Essen: im schönsten Wiesengrunde - dem schönen Schönebeck |
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Liedtext aus "Downtown Essen" - WhcMP 2004 - Text & Musik: Walter Westrupp |
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Essen ist eine Industriestadt im Zentrum des Ruhrgebietes (seinerzeit über 600.000 Einwohner), sie besteht aus einer Menge von Stadtteilen (ca. 50) und einer fast unbewohnten City - die im Krieg total zerbombt und deren übrig gebliebene repräsentablen Häuser wie das alte Rathaus (links) auch noch zugunsten von hässlichen unpersönlichen Waren-Häusern abgerissen wurden, um auch diese nach einigen Jahren wieder verschwinden zu lassen und durch noch hässlichere Betonburgen in 08/15-Architektur zu ersetzen: eine vorausschauende Stadtplanung ist nicht ersichtlich - es gibt hier so gut wie keine Verweilmöglichkeiten, keine Außengastronomie, keine Wohlfühloasen, keine gewachsene Struktur - nur Handel im Wandel. |
In die City fährt, wer dort arbeiten oder städtische Ämter besuchen oder eine größere Anschaffung in einem der Warenhäuser tätigen muß. Sonstige Anlaufpunkte sind abends ausschließlich Eventlocations wie angesagte Tanzpaläste (San Francisco, First Saloon, Top Ten für Teens und Twens) und die großen Lichtspielhäuser (mit der Lichtburg als größtem Kino Deutschlands vorneweg) - und die städtischen Kulturbetriebe wie Oper und Schauspiel: subventionierte Bühnen für die Eliten. (Ich werde nie den widerwilligen Gesichtsausdruck samt hochgezogenen Mundwinkeln und die abgespreizten Finger der Garderobenfrau im Grillo Theater vergessen, als ich bei meinem einzigen Theaterbesuch anlässlich Hochhuths Stellvertreter-Vorstellung meinen abgewetzten Parka dort abgab: dass sie mich nicht angekotzt hat, wundert mich heute noch...). Auch mit Jahrmärkten und Groß-Kirmes wird verzweifelt versucht, Menschen in die Stadt zu locken - klappt aber auch nicht so richtig. | |
Und dann liegt da noch diese unangenehme Angelegenheit unerledigt herum: MEINE
KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG -
Bei meiner ehrenhaften Entlassung aus dem Dienst fürs Volk habe ich ein off. Schreiben vom Bundesminister für Verteidigung erhalten, in dem er mir unter dem Blausiegel der Verschwiegenheit mitteilt, dass ich mich im Ernstfall an einer Brücke (welche sage ich nicht, das ist Geheimsache - und ich bin entsprechend vergattert) einfinden soll, um diese zu verteidigen! Watt soll ich? Ich habe doch nur kellnern und Billard spielen gelernt während meiner "Ausbildung"! Daher nehme ich an, dass ich dort die aktiven Kämpfer mit Getränken versorgen soll - im Granatenhagel einen Caipirinha servieren - und vielleicht ein bisschen Ukulele spielen im Bombenhagel. Aber wer hört mir da zu? Neee, das kann es doch nicht sein.
Flugs nach 2 Monaten werde ich aufgefordert, diese meine Gründe (in Ruhe) noch einmal ausführlich und schriftlich so zu fixieren (Werdegang, berufliche [?] Pläne, Lebenslauf, Hobbies, gemeinnützige Tätigkeiten etc.), auf dass die Jury bei ihrer Entscheidung meine gesamte Persönlichkeit und mein sittliches Verhalten entsprechend zu berücksichtigen in der Lage sein könne. Zudem solle ich 2 Zeugen namentlich mit Postleitzahl (also wohl festem Wohnsitz) aufbieten, die meinen drängenden Wusch und die innere Qual, die Ursache dieses Verlangens nach Verweigerung sei, bestätigen können.
Ende April 70 werde ich zu einer mündlichen Verhandlung vorgeladen. Leider kenne ich mich in Düsseldorf nicht so richtig aus und bin zur geforderten Zeit in Duisburg (da weiß ich besser Bescheid - hier bin ich schließlich drei Mal gemustert worden). Die kennen mich auch noch, sind sehr hilfsbereit und erklären mir den Weg nach Düsseldorf, und mit nur 75-minütiger Verspätung erreiche ich abgehetzt den Ausschuss, aber da wollen die mich nicht mehr vernehmen mit dem vorgeschobenen Argument, ich hätte keinen gültigen Personalausweis dabei. Was brauch ich einen Ausweis, wenn ich persönlich anwesend bin...? Eine erneute Einladung geht (wahrscheinlich wie immer auf dem Postwege) verloren, so dass ich nicht persönlich anwesend sein kann/darf, was dem Ausschuss wohl sehr lieb ist: er entscheidet im Mai 1970 gegen mich mit der Begründung, ich müsste mir die Aussagen meiner beiden Zeugen anlasten lassen... Mein Antrag wird abgelehnt. Das trifft mich schwer - aber es wirft mich nicht aus der Bahn. Nachdem wir die Jesus-Pilz-Bewegung in Deutschland ausgiebig publiziert und unsere Missionarstour durch die deutschen Kirchen hinter uns gebracht haben, schlage ich dieses bisher unbefriedigend verlaufene Kapitel wieder auf. Im März 1972 formuliere ich von Dill aus (wo wir jetzt unser Domizil haben) meinen Einspruch wie folgt: |
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Die Sache ruht jetzt, aber in mir sieht das ganz anders aus. Täglich überkommt mich beim morgendlichen Gang zum Briefkasten ein beklemmendes Gefühl, und ist ein länglicher blauer Brief im Kasten, falle ich jedes Mal in eine tiefe Ohnmacht: das muss der EINBERUFUNGSBEFEHL sein. Ich öffne irgendwann überhaupt keine blauen Briefe mehr (habe ich als Kind auch nie gemacht), verklebe sogar kurzzeitig den Briefkastenschlitz. Aber da erreichen mich die überlebenswichtigen GEMA-Abrechnungen nicht mehr - also geht das Zittern weiter. Und dann, im Jänner 1979, ist das Schreiben da: nach unendlich langen 3 Wochen kann ich mich überwinden und plane die Öffnung. Wie bei einer Bombenentschärfung habe ich alle Familienmitglieder und die Hunde fortgeschickt. Ich gehe in den Keller: bei Kerzenlicht reiße ich vorsichtig den Umschlag auf: Jawohl - betrifft meinen Einberufungsbescheid. Ich lege mir das Seil um den Hals - aber es ist kein Stuhl da. Ich will mir die Tränen abwischen - und habe auch meine Taschentuch vergessen. Also nehme ich das Scheiben (dann ist es doch wenigstens noch für etwas gut) und will mir die Tränen damit abwischen - da sehe ich, dass dieser Bescheid meinen bisherigen Einberufungsbescheid für den Verteidigungsfall aufhebt und ich mit einem neuen Bescheid vorerst nicht zu rechnen habe. YIPPIE - ich habe überlebt. |
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68er nach
Noten - Kapitel 3: Viehofer Str.15
©
2003 by Walter Westrupp - letztes
update November 2021