LOVE & PEACE-Festival auf der Insel Fehmarn 1970 |
|
Nimm
einen Joint, mein Freund
If you take LSD in the tea
If you are lying in your
bettgestell Von der Witthüser & Westrupp-LP "TRIPS & TRÄUME
|
|
DIE ANGST DER MUSIKERS VOR DEM AUFTRITT
Ich will es nicht glauben und hoffe es doch und verschluck mich und krieg Krämpfe und weiß: das ist zu viel für meine zarte Musikerseele. Ich schaue hilfesuchend Bernd an - dem geht es ebenso - also auch nicht besser. Wir haben die Essener Songtage - jeder auf seine Weise - hautnah erlebt: eine große Veranstaltung und für uns beide emotional eine Art Weckruf. Wir haben in den Medien Woodstock verfolgt - ein gigantisches Ereignis, doch weit weg von uns. Hier vor Ort im Ruhrpott hatten wir natürlich auch schon unsere Auftritte gehabt und Konzerte gegeben - alleine, gemeinsam oder in vorherigen Formationen - meist in Folkclubs, Jugendzentren und auf kleinen Studiobühnen, sogar auf kleinen Festivals, und das dann vor manchmal doch schon viel mehr als ca. 200 Zuhörern (!). Jetzt trifft uns plötzlich und unerwartet so ein Hammer: 20 30.000 Leute werden erwartet, und wir beide mit Ukulele und a-Gitarre und unseren Liebes- und Vampirliedern - 2 klitze kleine deutsche Folk- & Liedermacher-Davids gegen die größten Goliath-Rocker des Universums! Von 0 auf 100 mit einem Fingerschnipp! Wir geiern und lachen und schreien und tanzen und haben solche Muffe. Der Totenkopf im Vogelkäfig wackelt bedenklich mit der Kinnlade doch wir rufen RUK zurück und sagen: natürlich zu. Yippiieee...
Wir rauchen uns zunächst ein bis zwei Dreiblättrige, wollen uns danach in der "Baracke" anmelden (Festivalleitungs-Fertighaus mitten auf die grüne Wiese geklotzt) und merken recht schnell: wir sind im Irrenhaus gelandet und gleich kommen die Bewährungshelfer um die Ecke und legen uns allen hier Zwangsjacken an. Hektik und Chaos ohne Anfang und Ende, Telefone klingeln, Leute schreien durcheinander: "wo ist denn der schon wieder, wieso sind die nicht da, wer seid ihr: was wollt ihr hier?" Die Hell´s Angels drohen, die Hütte abzureißen, weil sie noch keine Knete gesehen haben (fackeln sie ja schließlich später auch ab), Techniker rennen rein raus raus rein, nach Stunden ziehen wir unverrichteter Dinge wieder ab und suchen uns ein schönes Plätzchen direkt hinter der Bühne nah am Geschehen, wo wir unser Ein-Mann-Zelt aufschlagen und einrichten (Hotel ist nicht drin) - und erforschen zunächst die nähere Umgebung. Als eine kleine Pause
eintritt, wagen wir uns die Treppe hoch - wir besteigen die Bühne und sind
von dem Ausblick erschlagen: überall Zelte, Plastikfolien und Menschen, soweit das Auge reicht. Am Horizont Liliputaner oder noch
kleinere tanzende Menschleinchen, die heftigst mit ihren kurzen Armen winken und rudern. Die Bühne selbst ein Riesenteller. Während vorne eine Gruppe spielt, wird auf dem hinteren Teil (getrennt durch eine Wand) das Equipment der vorherigen Gruppe abgebaut und das der nächsten aufgebaut per Aufzug werden die Sachen rauf- und runtergefahren. Wenn die vorne fertig gespielt und die im hinteren Teil fertig aufgebaut haben, kommen die Hells, stecken ein paar Holzpfähle in vorgebohrte Aussparrungen und drehen die ganze Scheibe samt Gerätschaften und Musikern um 180° - und weiter geht´s mit Musik - genial. Das Fest läuft, und mit ihm der große Regen. Es schüttet ununterbrochen, die Leute stehen, sitzen und liegen im Schlamm - eingehüllt in Regenjacken, Folien und Planen und hören sich die Cracks an, die aufpassen müssen, dass sie über ihre nassen Instrumente und Mikros keinen gewischt kriegen es passiert trotzdem. Manche Gruppen treten erst gar nicht auf - es ist ihnen einfach zu gefährlich. Auch unser kleines Zelt hält den Wassermassen nicht so richtig stand - alles ist klamm und feucht. Thedor bleibt als Nachtwache im Zelt, wir übernachten lieber im Wagen. Unsere größte Sorge gilt unseren Instrumenten - und andere Musiker haben diese Sorgen auch... Die schöne weiße Schleiflackanlage von Sly & the Family Stone wird klitschnass und dreckig, die Roadies fluchen, die Atmosphäre ist trotz (oder wegen?) des Regens elektrisch geladen die Hells haben Stress mit dem Veranstalter (oder umgekehrt) es ist nicht alles vom Allerfeinsten, was so am Rande passiert. Hendrix soll am Samstagabend spielen, aber der Regen und damit verbunden die Angst vor einem elektrischen Schlag sorgen für Unsicherheit, die ihn letztendlich davon abhält, auf die Bühne zu steigen und zu spielen (?!$). Alle wollen den Hendrix hören - dafür sind sehr viele schließlich hierhin gekommen, es fliegen Gegenstände auf die Bühne... Am Sonntagmorgen (?) soll er dann endgültig spielen - die ganze Nacht ist dies das Gesprächsthema Nummer eins.
Foto: Günter Zint Unsere Songs akustisch, ruhig und lyrisch wallen über das Festival-Gelände und werden eins mit dem sonnigen Morgen. Es ist eine paradiesische Stimmung, ein unwiederbringliches Erlebnis für uns, vergessen ist unsere Angst, sie verfliegt mit der Musik. Lustig und heiter - es fällt Licht in die Seelen der Festival Audienz... Und die wollen MEHR, und dann NOCH MEHR: es scheint, als freuen sich alle, deutsche Texte und unverzerrte Gitarren zu hören. Zum Abschluss erklingt unsere Flipper-Hymne, und die Freaks singen - nach entsprechender Animation - dann auch tatsächlich mit. Jetzt dürfen wir erst recht nicht von der Bühne Zugaben folgen. Mit Hilfe des Publikums wird den Versuchen der Veranstalter, den Zeitplan einzuhalten, getrotzt: wir sind so abgefahren und das Publikum mit uns, dass sie den Hendrix warten lassen wollen - um uns zu hören... MEHR, MORE, und wir antworten mit einem Satz als Reaktion auf die weiteren nicht enden wollenden Ovationen “... als eine ganz ganz junge neue Gruppe haben wir nur ein sehr beschränktes Repertoire, und deswegen fangen wir nun wieder von vorne an " und spielen weiter und der HENDRIX kann warten... Kurz danach ist dann aber enfgültig Schluss: es ist geschafft, wir sind geschafft. Wie im Traum taumeln wir von der Bühne herunter Schulterklopfen, Händeschütteln, Interviews geben, Veranstalter-Adressen entgegen nehmen. Eigentlich ist der Plan, noch Alexis Corner und Jimi anzuhören, aber die Presse ist hinter uns her, eine Welle der Zuneigung schwappt über uns weg: irre, Wahnsinn, unglaublich für uns "too much". Corner hören wir nicht mehr, auf Jimi warten wir erst garnicht: wir packen unsere Klamotten ins Auto, ein Bauer mit seinem Trekker zieht uns aus dem Schlamm, irgendwie kriegen wir den Motor ans laufen und düsen nach Süden Richtung Heimat - das alles will erst mal verarbeitet sein...
![]()
P.S. Ich habe es tatsächlich geschafft, noch unter den Lebenden zu weilen, um 2021 den Veranstaltern anlässlich des 50. Jahrestages dieses Love & Peace-Festivals ein Grußwort zu übermitteln: wer hätte das gedacht? Ich am allerwenigsten...
![]() |
68er nach Noten -
Kapitel 5: Fehmarn
©
2000 by Walter Westrupp - letzte Aktualisierung März
2020
Fotos auf
dieser Seite stammen von der website www.fehmarnfestival1970.com