1968 nach Noten - Witthüser und Westrupp - Essener Songtage und mehr |
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Leben in der Stadt Essen rund um 1968 |
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Kapitel 1 |
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Ihr wisst doch:
wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft,
so geht er auf und bringt Frucht zu seiner Zeit.
So auch der Brösel.
Wenn ihr ihn nehmt, so geht er auf
und wird größer als alle Dinge unter dem Himmel:
und er lässt aufgehen das klare Licht..
Viele haben
begehrt zu sehen, was ihr seht - und haben es nicht gesehen
und viele haben begehrt zu hören, was ihr hört - und haben es nicht gehört...
...und deshalb;
hütet den Brösel und ziehet hin
ziehet hin in Liebe
und der Brösel sei mit Euch
Teil II aus "Versammlung" von der Witthüser & Westrupp-LP "Der
Jesuspilz"
![]() • PRIVATE SITUATION 1968 • UNSERE
WELT 68 •
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WERDEGANG BIS DATO
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Ja gut: ich war ein künstlerisch begabter junger Mensch und strebte eine Tätigkeit im grafischen Gewerbe an. Also bewarb ich mich u.a. bei einer großen Druckerei, die - neben vielen anderen Zeitschriften - die Micky Maus-Hefte für den deutschsprachigen Raum druckte und daher prädestiniert für meine Ausbildung schien. Aufnahmeprüfung locker geschafft - alles in trockenen Tüchern - bis einem pingeligen Amtsarzt auffiel, dass ich an Deuteranopie leide (also rot-grün schwach bis farbenblind bin): nicht grade die allerbesten Voraussetzungen für einen Grafiker. Die Zeit drängte und ich beschloss, irgendwas an der frischen Luft zu suchen. Ich stieg ein ins Bauwesen (Fernziel Architekt) und habe eine Lehre beim Weltkonzert HOCHTIEF angefangen und irgendwie auch beendet (als Eisenwichser [sprich Betonbauer] inkl. Gesellenprüfung und -brief). | |||
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Als
Beweis links ein Bild des Original - wunderbar..
Dieser Brief sieht aus wie ein Führerschein, war bzw. ist zu nix nutze - zumindest nicht für mich. Er taugte allemal als Beweismittel: ich konnte damit eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen - und hatte somit die Vorgaben meiner Eltern erfüllt... |
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Nun wären nach damals üblichem Lebensablaufplan die nächsten
Schritte gewesen:
Ich also traue mich und überspringe die Punkte 1-6, fange ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben gleich mit Pt. 7 an
- wobei: • WERDEGANG
• PRIVATE SITUATION 1968
• UNSERE WELT 68 • |
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PRIVATE SITUATION 68 |
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Ich meide fortan das Podium - was ja für mehr als 1 Jahr mein Zuhause geworden ist - sehe meine Freunde nicht mehr, ziehe mich total zurück. Für kurze Zeit quartiere ich mich wieder in mein altes Jugendzimmer bei meinen Eltern ein, merke aber schnell, dass dieser Zustand keine Dauerlösung sein kann. | |||
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Auch hier in der Heimat werden Discjockeys gesucht und gebraucht, und so arbeite ich eine ganze Zeit in verschieden Diskotheken (Kaleidoskop, Pferdestall, Black Horse), lege Platten auf und unterhalte das Publikum mit Witzen, Sprüchen und Spielen.
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Wir wollen - zunächst mal für uns selber - Farbe in unser Leben bringen, inspiriert durch das, was wir im Fernsehen sehen, was wir in der sogenannten "Underground"-Presse lesen und was durch die Musik zu uns schallt: Flower Power. Wir hören Musik von Jefferson Airplane, Grateful Dead, Big Brother & the Holding Company, Frank Zappa, Quicksilver Messenger, Country Joe & the Fish etc. | |||
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• PRIVATE SITUATION 1968
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In Erinnerung sind seinerzeit gerne ge- und benutzte Sprüche wie • Trau keinem über 30 • Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren • Wer 2x mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment • Revolution ist machbar, Herr Nachbar • Haut dem Springer auf die Finger • Auf deutschem Boden darf nie mehr ein Joint ausgehen - und viele andere mehr... ...und wir dabei und mittendrin: Wir waren Forscher, Astronauten, Piraten, Weltenbummler in unerforschtem, fast jungfräulichem Umfeld. Alles war neu und aufregend, Freiräume wollten ausgefüllt werden - und das haben wir gemacht. Die Freiheit des Handelns war uns damals glücklicherweise durch eine demokratische Gesellschaftsordnung möglich: der Mensch ist frei, wenn er eine Wahl treffen kann. Wir nutzen dies, wir waren jung und hatten nichts zu verlieren. Mit einem gefüllten Rucksack auf dem Rücken wäre unser Weg schwer zu gehen gewesen - es reist sich einfach besser mit kleinem Gepäck. Mit einer kleinen Reisetasche hingegen stand uns die ganze große Welt weit offen. |
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• WERDEGANG
• PRIVATE SITUATION 1968 |
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IEST - INTERNATIONALE ESSENER SONGTAGE 1968 |
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Beim Anblick der Grugahalle überrollt es mich dann endgültig: junge Menschen soweit das Auge reichte, bunt, fröhlich, offen und locker - wobei auch revolutionäre Töne nicht zu überhören sind. Fernsehstationen haben ihre Aufnahmewagen aufgebaut, der Rundfunk ist natürlich auch am Start und Fotografen sind vor Ort: Motive sind ja zu Genüge vorhanden. | |||
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Ich habe 1965 die Rolling Stones in dieser Halle erlebt, aber das hier kommt mir schon allein von den Menschen her ein paar Nummern größer vor – und irgendwie total anders. Ich sehe vereinzelte Polizisten, die sich aber mehr im Hintergrund halten - nicht, dass ich mich unwohl gefühlt hätte, aber es sind so viele (teils fremde) Eindrücke, ein anderes, unbekanntes Flair, eine noch nicht erlebte Aura: ich schwimme einfach mit, lasse mich treiben, hin und her gerissen von den Aktionen, die überall und ununterbrochen abgehen. | |||
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Im Foyer unten ist es wie auf einer Messeveranstaltung
für Hippies und Undergroundler mit einem Riesenangebot an Dingen, wie
ich sie in dieser Art und Masse noch nicht gesehen habe: Stände mit
Postern, Tshirts,
Stirnbänder, Zeitschriften, Bücher,
Platten, Wasserpfeifen und Chillums, Ketten und Schmuck...
Ich habe später einen Text geschrieben, der genau dieses Gefühl beschreibt und eigentlich seit den Songtagen in mir nachhallt: ... und ich erkenne mich, und ich erkenne meinen Sinn: ich komm, ich geh, ich war und ich bin.
Nur: bevor ich diesen Weg beschreiten und das Gesehene und Erlebte mit Leben erfüllen konnte, musste ich zunächst diesen Wehrdienst zu Ende bringen.
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Ein wahres Pfund für eine Karriere bei der Bundeswehr ist meine Lunge (groß geworden durch die Blasmusik) sowie meine skiffleerprobte wunderbare Stimme: ich brülle beim Stubenappell (als Stubenältester bin ich per Gesetz dazu verpflichtet) so laut meine Meldung, dass die ganze Kaserne stramm steht. Des weiteren kommt mir meine Körpergröße (oder -kleine) zugute: mit 164 cm bin ich sowohl in der Gruppe, im Zug als auch in der Kompanie der Kleinste, somit überall der Letzte (nicht das...) und darf daher jedesmal "Lied durch" brüllen, wenn "Gesang" angesagt ist (die gedient haben, wissen Bescheid). Es dauert nicht lange, und jeder in der Kaserne kennt mich und meine Stimme - sogar der Kommandeur... Nach einem ½ Jahr Eingewöhnungs- und Anpassungszeit werde ich aufgrund meiner hervorragenden kämpferischen und stimmlichen Veranlagungen in die Kaserne Essen-Kray versetzt. Dort wird mir ein neues Outfit verpasst - ich bekomme (und gebe hiermit zu: nicht ganz gegen meinen Willen) neue wunderbare Kleider - und alle diese schönen Sachen sind irgendwie reichlich zu groß (bzw. ich bin zu klein): der Helm sitzt auf Augenhöhe, die Jackenärmel sind ca. 10 cm zu lang bzw. meine Arme zu kurz, der Mantel erreicht Zeltdimensionen und schleift über den Boden, und mein Beinkleid (das man wg. des langen Mantels leider nicht mehr sehen kann) wirkt wie eine Korkenzieherhose Marke Volkschullehrer. Als ich damit zum ersten Mal Torwache schieben darf und in Ausübung meiner Pflicht heldenhaft den Kommandanten kontrolliere, ist dieser so erfreut ob meines Outfits, dass er mich stehenden Fußes zum Wachhabenden schickt - und dieser mich vom aktiven Wachdienst abzieht (er murmelt dabei etwas von Schädigung des Ansehens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit?) und dort auch nie wieder einsetzt.
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