Bernd kommt wie ich vom Skiffle, ist ein guter Gitarrist und Sänger, ein starker Typ, die Chemie zwischen uns stimmt: aus diesen Begegnungen entwickelt sich Freundschaft und später eine fruchtbare musikalische Zusammenarbeit... | |
Im
City-Club: |
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CITY CLUB KONTAKT HIPPIES GUMMIBOOT DAS PODIUM |
ls mein Arbeitgeber, der Wirt des City-Clubs Egon Mai, ein neues Projekt startet, sind Bernhard und meine unauffällige Wenigkeit mit bei der Party: ein Folk- und Jazzladen mit täglicher Life-Musik ist geplant, ein passendes Objekt gefunden: der in die Jahre gekommene "Künstlerkeller", ein uriges Kellerlokal am Gänsemarkt in der Innenstadt von Essen, ist ein alter reichlich runter gewirtschafteter Jazzladen mit viel Charme, und er besitzt den unschätzbaren Vorteil einer von der Theke abgegrenzten separaten Bühne mit einem kleinen feinen extraordinären Zuschauerraum. Wir entwickeln gemeinsam mit Wirt Egon ein entsprechendes Konzept, sowohl die Brauerei als auch die Bank sagen dazu JAWOLL (Jazzer trinken bekannterweise gern mal einige qcm Gerstenkaltschale), und 1967 wird das „Podium“ eröffnet und entwickelt sich schnell zu einem Begriff im Pott, zu einer Institution im Ruhrgebiet. Ich arbeite hier als Disc-Jockey, als Pausenclown, Ansager und Musiker, während Bernhard als Koordinator und Manager im Hintergrund für das Live-Musik-Programm die Fäden spinnt und die auftretenden Künstler engagiert und betreut (diese Erfahrungen helfen ihm später, als er Geschäftsführer der legendären Internationalen Essener Songtage 68 IEST wird). Alles, was Rang und Namen hat in Jazz und Folk und der Liedermacher–Szene, spielt fortan im PODIUM – tägliches Musik-Programm ist angesagt: ob Liedermacher wie Hannes Wader oder Horst Koch (der mit uns anschließend jedes Mal seine gesamte Gage versäuft), ob Dixieland vom Prager Jazz-Quintett, ob Jasper Ten Hoff´s Association P.C., Peter Brötzmann, ob Flamenco mit Manolo Lohnes oder klassisches Guitarrengezupfe vom Folkwang-Dozenten Dr. Beck, ob Ali Claudi mit seiner Jazzgitarre oder Blues vom Gitarristen Franz de Byl und Boogie Woogie mit Rolf Lebeda: Künstler und Bands, die an Wochenenden kaum Termine frei haben und zudem für uns nicht zu finanzieren sind, treten innerhalb der Woche zu ganz anderen - sprich bezahlbaren - Konditionen auf. Dazu kommen Freejazz, Kabarett, Kleinkunst, Dichterlesungen: alles, was spielen kann oder etwas zu sagen hat, bevölkert fortan unsere kleine Bühne - und natürlich auch (un)bekannte (Nachwuchs-) Gruppen und Künstler aus Essen und Umgebung: lokale Jazzbands wie die Metropole Jazzmen oder meine Night Reveller Skiffle Group können hier Live-Erfahrungen sammeln, Spontansessions anwesender Musiker sind an der Tagesordnung und der wahnsinnige Ramses, Essener Piano-Unikat mit Hosenträgern und Nyltesthemd, ist immer für ein „Chicago“ samt tiefer Verbeugung gut - und selbst die Studenten der Essener Folkwang-Musikschule finden hier ein Forum für ihre experimentelle Musik (was nicht unbedingt jedermanns Sache ist und auch weit über die Schmerzgrenze gehen kann).
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Es
wird also reichlich und so richtig Musik gemacht, egal ob Jazz, Skiffle oder
Folk - sowohl live als auch von Acryl. Das von uns entwickelte Konzept ist stimmig und geht auf: der Laden
läuft super an. Wir leben von der Neugierde der Leute, die aus dem ganzen
Ruhrgebiet, ja selbst aus der elitären Jazz- und Landeshauptstadt
Düsseldorf angefahren kommen, um sich ein Bild von unserem ausgefallenen
Musikprogramm zu machen und dabei zu sein: Mann & Frau treffen sich
in angesagter Keller-Location, sehen interessante Künstler und
Mitmenschen, werden gesehen, rauchen Gauloises, Roth-Händle und Reval
ohne Filter oder drehen Schwarzen Krausen, trinken Pernod pur oder Jack
Daniel´s-Cola: schwarz gekleidete Intellektuelle, schlaghosentragende
Individualisten, minigekleidete Büromädchen im selbst gestrickten viel
zu weiten Baumwollpullovern: der Laden ist Bühne
für Musiker und Publikum. Es bilden sich Cliquen, die an bestimmten
Tagen zusammen kommen, es gibt die Hasch- und LSD-Fraktion, die Jazz- und
Folklorefans, die Clubgänger, Outlaws und Rumhänger - ein bunter
Haufen, und alle zusammen bilden die Podium-Family. Einige bleiben
außen vor - würden gerne dazu
gehören, werden aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht an- bzw.
aufgenommen: sie bleiben irgendwann fern, suchen Gleichgesinnte in anderen
Gruppierungen, engagieren sich in Gewerkschaften und Parteien oder basteln
an ihrer Karriere - jedem das Seine... Wichtig für das Flair - und nicht selbstverständlich bei der Lage des Clubs inmitten der City - ist das friedliche Miteinander der unterschiedlichen Alters-, Herkunfts- und Gehaltsklassen. Kein Stress, keine Schlägereien, keine Pöbeleien: einfach toll...
Aus
dieser Zeit stammt eines der ersten Lieder, bei dem ich Bernd begleite:
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ie erste Euphorie-Welle ebbt nach einem halben Jahr langsam ab, Alltag kehrt ein, der Reiz des Neuen ist befriedigt, andere Musik-Läden in der Umgebung öffnen, während bei uns an den Wochentagen (der Sommer zieht die Menschen leider raus an die frische Luft) der Besuch langsam aber stetig und unaufhaltsam abnimmt, da checken selbst wir als Nichtbetriebswirtschaftler, daß tägliche Life-Musik auf Dauer gesehen schwer zu finanzieren ist: trotz eines sehr guten Bierumsatzes verfliegt der Rausch langsam und stetig. Wir geben Durchhalteparolen aus und suchen Mäzene (?), während unser Chef Egon Mai erste graue Haarsträhnen bekommt und sein Kontostand langsam und unaufhaltsam im Minus versinkt. Auch mit seinem gutbezahlten "Nebenjob" im Kleidungsbusiness kann er die vielen sich auftuenden Löcher irgendwann nicht mehr stopfen - letztendlich säuft er mitsamt seinem Lebenstraum ab, und wir werden von heute auf morgen arbeitslos. Uns fehlt nun der karge Lohn, und mir das kostenlose Elexier zum Überleben: Jack Daniel´s (oder wenns ihn irgendwo gibt: George Dickel´s) Tennessee-Whiskey mit Eis und Cola. Ich weiss: für echte Whiskeytrinker der blanke Kulturbolschiwismus, aber für mich bis dato umsonst, vollmundig durch aufwändiges Herstellungsverfahren, wachhaltend, belebend, und mit einigen Umdrehungen versehen gut fürs Wohlbefinden. Dieser Verlust ist genau genommen der Auslöser dafür, daß ich vorübergehend auf das billigste aller flüssigen Rauschmittel "Bier" umsteige. Wir im Stich gelassenen Heimatlosen halten uns fortan mit vereinzelten Konzerten und Kurzzeitjobs über Wasser und sichern uns so ein eigentlich musikerunwürdiges Überleben. Das PODIUM wird nach einiger Zeit wiedereröffnet, und unter neuer Leitung mit einem anderen Konzept kehrt das Leben zurück in diese wunderbare Location - diesmal leider ohne unsere eigentlich unverzichtbare Mitarbeit. Die Musik wird psychedelisch und kommt aus der Konserve, das Publikum wird jünger und hipper, und in der Tiefgarage nebenan - wo ich mein Moped immer parke - wird der Bewusstseinserweiterung auf die Sprünge geholfen (gegenüber im Lager des Bekleidungsfachgeschäftes Klasmeier richtet daraufhin das Rauschgiftdezernat eine Aussenstelle ein und fotografiert von dort fleissig das emsige Treiben im Parkhaus). Ihnen wird daher mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit Katanga nicht entgangen sein, der hier Abend für Abend eine Verkaufsstelle neben seinem Auto errichtet - mit Klapptisch sowie der nötigen Soft- und Hardware. Sein Markenzeichen hat er immer am Mann: ein grosses Messer, mit dem er etwaigen Handgreiflichkeiten vorbeugt und gekonnt das Haschisch portioniert. Er verkauft immer gutes Zeug, für etwas mehr Geld gibts auch einen ausgesuchten schwarzen Afghanen oder Konzentrat fürs Kuchenbacken. Egal - wir können mit alledem gut leben, und als Gäste bleiben wir "unserem" alten neuen Laden natürlich treu... |
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ESSENS ERSTE HIPPIES m Sept. 67 - genau gesagt am Freitag, den 08. gegen 12:00 mittags (High Noon!) - veranstalten wir das 1. Essener Love-In. Wir haben Jerry Rubins "DO IT" gelesen und wollen das Gelesene (Theorie) nun mit Leben erfüllen (die Praxis). Mit anderen Worten: wir wollen Fleisch an den Knochen bringen: Wir wollen testen, ob dieses Essen schon reif für die Liebe ist. Also packen wir uns in Omas Wolldecken, setzen uns alte Brillen auf, stecken uns Blumen ins Haar, holen uns musikalische Verstärkung durch Sandro Styers Banjo und Willi Stichts Gitarre sowie seine starke Stimme - dazu stossen als moralischer Rückhalt noch Heinz Hundt und der Disc-Jockey Rainer Maria Hinz - und wir alle zusammen stürmen (in) die Stadt. Mit diesem unserem Spontanangriff legen wir in Nullkommanix den zentralen Kennedy- Platz in Essen lahm. Wir singen "we shall overcome" und irgendwas von San Francisco sowie eigene Songs wie "Fragt uns nicht: woher und wohin", anschließend laufen wir durch die staunend stehen gebliebenen Menschen, verteilen unsere mitgebrachten 100(0)e von Blumen (lasst Blumen sprechen, nicht die Politiker) an die Passanten und geben ihnen lebenswichtige Weisheiten mit auf ihren steinigen Weg durch ihr Sein wie: "Liebe Deinen Nächsten mehr als Dein Portemonnaie – Steigt aus - Fresst Euer Geld und sterbt daran - Liebe, solange Du noch warm bist..." Wir steigen ins (Brunnen-) Wasser und umrunden mit unseren Instrumenten das einzige Mädel, das wirklich still stehen bleibt und konzentriert zuhört: die Badende "Jungfrau“, unsere Hippie-Braut in ihrem Swimmingpool. Die Menge hält uns mittlerweile für total bekloppt - nicht alle lieben blumige Bacchanten, die scheinbar Ghandi und Buddha zu ihren Vorbildern erkoren haben - oder sie halten uns schlichtweg für arbeitslose Gammler: "so jung und schon so´n Bart", "die sind zwar verrückt, aber trotzdem sympathisch". Ein paar Eiferer warten mit damals oft gehörten Vorschlägen auf, wie uns verwirrten Jünglingen geholfen werden kann: "die gehören eingesperrt" - "bei Adolf"... - "arbeitsloses Gesocks", "KZ" usw., während Harmlosere uns nur ins Arbeitslager stecken wollen. Das Schlimme dabei: das ist nicht nur einfach so daher gesagt - diese "Gutbürger" meinen das wirklich ernst. Die Blumen, welche sie kurz vorher selbst mit einem Lächeln entgegengenommen haben, sind plötzlich vergessen - auch wenn sie noch im Knopfloch der Jacke stecken |
undfunk sowie Presse kommen angerast
und interviewen Akteure und Beobachter – für
das biedere Essen, das sich immerhin „Großstadt“ nennt, ein Medienereignis
allererster Güte (in Düsseldorf, Berlin oder München hätte sich niemand nach uns
umgedreht - höchstens um zu fragen, wo es diese schönen Blumen gibt). Aus
den Büros strömen Sekretärinnen und Beamte (das musst Du gesehen
haben: da sind so´n paar Irre unterwegs), die umliegenden Kneipen leeren
sich spontan - und die Menge gafft und staunt: die
City steht für einen Moment still. Doch hätten wir "BUHHH"
geschrien, wären sie alle vor Schreck wieder weggerannt. Dann kommen
endlich auch die |
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Essens 1. Blumenkind... |
...und hier sind
bewegenden Bilder dazu: |
CITY CLUB KONTAKT PODIUM HIPPIES DAS GUMMIBOOT ines
Nachts – es ist logischerweise stockduster draußen und auch
dumpf-dunkel in unseren Köpfen – spricht Bernhard mit unheilschwangerem
Unterton in der Stimme (wir sind zu dritt im Podium versackt und so gegen
3 Uhr morgens auf dem Heimweg): Ey, Jungs, watt liegt an - watt geht ab? Ich
hab noch keinen Bock auf schlafen. Aber nirgends ist noch was los, und die Mädels
sind um diese Zeit alle schon vergeben! Ich hab ´ne Wahnsinns-Idee: Wir fahren heut
Nacht mal zur See! Watt? Ja, auf dem Baldeneysee! ährend
ich verzweifelt und mit nur mäßigem Erfolg versuche, das Boot während
der Fahrt wieder aufzupumpen, paddelt der zweite Offizier los und Bernhard
– er hat sich mittlerweile zum Kapitän ernannt und übernimmt neben der
Verantwortung auch die Navigation (und verwechselt dabei vor Aufregung immer
backbord mit links), um uns ans rettende, auf Grund des Nebels aber
unsichtbare Ufer zu bringen. Zunächst landen wir natürlich auf
der falschen Seite des Sees, pumpen dort nach, schütteln unsere Schuhe
aus und ab geht es wieder aufs/ins Wasser und mit erhöhter Schlagzahl
(120) zurück zum Anlegesteg des „Ruderclub am Baldeneysees“, den wir
nach ca. 20 Stunden (!) finden, nachdem wir wohl den ganzen See umfahren
hatten (ca. 1,5 x Marathonstrecke). Wir kriechen auf den Steg, binden mit
einem doppelten Windsor-Knoten das Boot seefachmännischst an einem Poller
fest und sinken erschöpft, unterkühlt und halbtot (sprich besoffen) auf
die Bretter, die für uns das Überleben bedeuten
– und fallen in einen schock- und ohnmachtsähnlichen
Tiefschlaf. Jahre später erst schrecken wir wieder hoch, aufgeweckt vom
Gebrumme der Rettungshubschrauber – nein, es sind die Fluggeräusche
eines riesigen Bienenschwarmes, ja eines ganzen Bienenvolkes (ca. 1 Mio.),
das um unseren Gin-O-Saft düst und sich den Rausch seines Lebens ansäuft
– den Honig hätte ich gerne mal probiert. achdem wir am Stand der Gestirne die Uhrzeit bestimmt haben (es muss wohl so gegen 11 Uhr vormittags sein) und anhand der Kerben in der Gummiboothülle feststellen, dass es Sonntag ist, wir dann durchzählen und die Besatzung wie auch unsere Knochen als vollständig befinden, nehmen wir unsere Umgebung wahr, welche uns schon längst entdeckt hat: die Uferpromenade ist voller Sonntag-Morgen-Spaziergänger, die uns anstarren, als wären wir gerade - von einer Grönland-Expedition zurück kommend - hier gestrandet. Womit sie ja gar nicht so falsch liegen – wir bieten ein Bild wie aus einem kanadischen Abenteurerfilm. Wir verteilen Autogramme, geben Interviews und nehmen Glückwünsche entgegen, dann schultern wir unsere Ausrüstung und starten unseren langen Marsch zur nächsten Bahnstation, um in die Heimat zurück zu kommen. Wir sind verdammt stolz, den Naturgewalten getrotzt zu haben – wir haben dieses mörderische Abenteuer unbeschadet überlebt, was natürlich unser Selbstwertgefühl ungemein stärkt. Oft sitzen wir fortan abends im Podium und müssen diese unglaubliche Geschichte erzählen – na ja, da ist dann auch schon mal von Haien die Rede und von angreifenden U-Booten – Seemannsgarn eben: darauf einen Gin mit O-Saft! |