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DAS
GUMMIBOOT
ines
Nachts – es ist logischerweise stockduster draußen und auch
dumpf-dunkel in unseren Köpfen – spricht Bernhard mit unheilschwangerem
Unterton in der Stimme (wir sind zu dritt im Podium versackt und so gegen
3 Uhr morgens auf dem Heimweg): Ey, Jungs, watt liegt an - watt geht ab? Ich
hab noch keinen Bock auf schlafen. Aber nirgends ist noch was los, und die Mädels
sind um diese Zeit alle schon vergeben! Ich hab ´ne Wahnsinns-Idee: Wir fahren heut
Nacht mal zur See! Watt? Ja, auf dem Baldeneysee!
Womit? Ich hab
ein Gummiboot. Wie Gummiboot, wo? Im Keller! Im Keller is kein Gummiboot!
Doch, bei meiner Mutter im Keller. Hasse ´n Schlüssel? Nee, wir
klingeln! Hasse ma auffe Uhr geguckt? Egal! Gut, O.K., wir erst einmal wieder
zurück zum Podium, Gin und O-Saft eingepackt, dann mit dem Taxi zu
Muttern, die aus dem Bett geklingelt, Boot und Pumpe eingeladen und dann
ab zum Baldeneysee. Das Boot, eine Latex-Nussschale mit einem Minipaddel,
wird aufgeblasen und zu Wasser gelassen, den Proviant rein, wir rein und
dann ab Richtung Seemitte. Kurs Süd-Oooost Oooost. Der Wind pfoff von
Luv, ein Hund boll. Die Uferlichter verschwinden langsam hinter unserem
Kielwasser, wir überlassen das Boot sich selbst und den Gin kreisen: auch bei uns
gehen langsam die Lampen aus und es/uns wird nebelig. So treiben wir in der
Seemitte und singen mit unseren hellen Knabenstimmen Hans-Albers-Lieder in
die Stille. Es wird schattig und immer nebeliger, bis uns auffällt, dass
der Nebel jetzt auch noch von außen kommt. Ermattet sinken wir zurück,
erholen uns mit ein paar kräftigen Schlucken von diesem Schock und von
den Strapazen unserer Gesangseinlagen – da fällt mir ein leises wohl
bekanntes Geräusch auf: einer
furzt - und hört gar nie nicht auf zu furzen. Nach eingehender
Untersuchung und entsprechender Geruchsproben stellen wir übereinstimmend fest: es ist keiner von
uns! ES IST DAS BOOT! Und das fängt prompt an, in der Mitte einzuknicken
– wir haben einen Platten, ein riesiges Leck - und Wasser tritt ein. An Bord
bricht sofort die helle blanke Panik aus: wo ist das verdammte Flickzeug.
Es ist irgendwie wohl in der Werkzeugkiste – und die ist zu Hause
bei Mutti. Wir haben die Rettungsringe vergessen, auch die Rettungsboote sind
weg, wir haben keine Leuchtraketen mit, unser Funkgerät ist
(wahrscheinlich von Piraten gestohlen) nicht mehr da, das Echolot haben
wir in den Schweizer Alpen liegen lassen (wegen der Akustik). Sind wir
verloren? Wo sind die Seenotrettungskreuzer und die DLRG-Schnellboote, die
sonst zu Hunderten hier herumfahren? Darf es für Lebensretter überhaupt
Feierabend geben? Wir sind verloren. Was für ein Tod. Was wird in unseren
Nachrufen stehen? Wohl nichts Gutes. Und wir sind doch noch so
verdammt jung. 
ährend
ich verzweifelt und mit nur mäßigem Erfolg versuche, das Boot während
der Fahrt wieder aufzupumpen, paddelt der zweite Offizier los und Bernhard
– er hat sich mittlerweile zum Kapitän ernannt und übernimmt neben der
Verantwortung auch die Navigation (und verwechselt dabei vor Aufregung immer
backbord mit links), um uns ans rettende, auf Grund des Nebels aber
unsichtbare Ufer zu bringen. Zunächst landen wir natürlich auf
der falschen Seite des Sees, pumpen dort nach, schütteln unsere Schuhe
aus und ab geht es wieder aufs/ins Wasser und mit erhöhter Schlagzahl
(120) zurück zum Anlegesteg des „Ruderclub am Baldeneysees“, den wir
nach ca. 20 Stunden (!) finden, nachdem wir wohl den ganzen See umfahren
hatten (ca. 1,5 x Marathonstrecke). Wir kriechen auf den Steg, binden mit
einem doppelten Windsor-Knoten das Boot seefachmännischst an einem Poller
fest und sinken erschöpft, unterkühlt und halbtot (sprich besoffen) auf
die Bretter, die für uns das Überleben bedeuten
– und fallen in einen schock- und ohnmachtsähnlichen
Tiefschlaf. Jahre später erst schrecken wir wieder hoch, aufgeweckt vom
Gebrumme der Rettungshubschrauber – nein, es sind die Fluggeräusche
eines riesigen Bienenschwarmes, ja eines ganzen Bienenvolkes (ca. 1 Mio.),
das um unseren Gin-O-Saft düst und sich den Rausch seines Lebens ansäuft
– den Honig hätte ich gerne mal probiert.
achdem wir am Stand der
Gestirne die Uhrzeit bestimmt haben (es muss wohl so gegen 11 Uhr
vormittags sein) und anhand der Kerben in der Gummiboothülle feststellen,
dass es Sonntag ist, wir dann durchzählen und die Besatzung wie auch
unsere Knochen als vollständig befinden, nehmen wir unsere Umgebung wahr,
welche uns schon längst entdeckt hat: die Uferpromenade
ist voller Sonntag-Morgen-Spaziergänger, die uns anstarren, als wären
wir gerade - von einer Grönland-Expedition zurück kommend - hier
gestrandet. Womit sie ja gar nicht so falsch liegen – wir bieten ein
Bild wie aus einem kanadischen Abenteurerfilm. Wir verteilen
Autogramme, geben Interviews und nehmen Glückwünsche entgegen, dann schultern wir unsere Ausrüstung und starten unseren langen
Marsch zur nächsten Bahnstation, um in die Heimat zurück zu kommen. Wir
sind verdammt stolz, den Naturgewalten getrotzt zu haben – wir haben
dieses mörderische Abenteuer unbeschadet überlebt, was natürlich unser Selbstwertgefühl ungemein stärkt. Oft sitzen wir fortan abends im
Podium und müssen diese unglaubliche Geschichte erzählen – na ja, da
ist dann auch schon mal von Haien die Rede und von angreifenden U-Booten –
Seemannsgarn eben: darauf einen Gin mit O-Saft!
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