City Club Essen, Podium Essen, 1. Hippies in Essen, Witthüser Westrupp: 1. Kontakt:

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Geschichten um Musik, Jobs, Hobbies und Hippies

Wir sitzen im Aeroplan
und suchen nach Kleinkurdistan
um zu sehen Vetter Florian

Es gibt dort keine Landebahn
wir landen auf der Autobahn
wir laden unser Porzellan
in die dortige Straßenbahn

Plötzlich kommt ganz ohne Plan
vom Ozean mit Affenzahn - 1 Orkan

Er treibt hinweg den Partisan
den Pelikan und den Pavian

Wir trinken dann im wilden Wahn
den Lebertran aus Zellophan
und suchen dann ganz spontan
mit jaulendem Sopran
beim Vatikan Uran.

TRIPPO NOVA von der Witthüser & Westrupp-LP "TRIPS & TRÄUME"

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CITY CLUB

ch arbeite seit Januar 1967 – nach der Lehre und erstmals abgenabelt vom Elternhaus - als Platten-Reiter im legendären City Club in Essen. Der Laden liegt in der Nähe des Hbf. hinter dem "Haus der Technik" und unterhalb des Hotels "Handelshof" in der Bachstraße an der Einmündung zur Schützenbahn  gegenüber der alten Feuerwache. Eine Besonderheit dieses Lokals ist die frühe Öffnungszeit: 11:00 Uhr morgens. Um diese Zeit haben sonst nur das Cafe Grothe im Hbf (durchgehend) und das Stauder Zentral an der Kettwiger Straße ab 9:00 h geöffnet. 

Hier finde ich eine erfüllende, meinen Neigungen entsprechende  Tätigkeit und realisiere darüber hinaus: Arbeit ist nicht im entferntesten so, wie mir meine Eltern immer mit erhobenem Zeigefinder und ermahnender Stimme erzählt haben: „geh´ Du erst mal arbeiten, dann weißt Du, was ´ne Mark (ja, damals gab es noch echtes Geld) wert ist" und anderer solcher existenziellen Lebensweisheiten. Irgendwas muss ich damals nicht richtig verstanden haben: hier erhalte ich kostenloses Essen, habe frei Trinken und den ganzen Tag geile Mädels und nette Jungs um mich herum, lege mir von früh bis spät meine Lieblingsmusik auf und bekomme dafür auch noch Knete  – was will ein junger Mensch am Anfang seiner Freiheit und seiner Karriere mehr: das ist etwas ganz anderes als diese ätzende körperliche Maloche während meiner Lehrzeit!.

ER 1. KONTAKT mit meinem späteren Musikpartner findet hier statt, und was daraus entstehen wird, ist natürlich noch nicht absehbar, weder für uns selber noch für den Rest der Menschheit. Niemand kann ahnen, was sich aus diesem kurzen Moment heraus für die Musikwelt entwickeln wird. Dieses erste Treffen mit dem Menschen und Musiker Bernhard Witthüser vollzieht sich – von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt - Anfang 1967 genau hier im besagten City-Club, DER Szene-Kneipe in der Mitte von Essen a.d. Ruhr, diesem malerischen Bischofsstädtchen am Rande des Baldeneysees. In diesem In-Pub treffen sich zur Mittagszeit nette, junge und sympathische Menschen in ihrer Mittagspause, um sich in angenehmer Atmosphäre bei gepflegter Musik und einem Cocktail die Zeit zu vertreiben. Einen Gutteil dieses besonderen Flairs erzeugt meine Person, denn hier, in diesem wunderbaren Club, bin ich für die Musikauswahl zuständig. Für meinen Chef Egon Mai, Verkäufer für Oberbekleidung in einem großen Essener Kaufhaus, soll dieses "Projekt City Club" ein zweites Standbein werden - und er lässt mir voller Vertrauen in meine Kreativität freie Hand für meine Arbeit und bei neuen Projekten.

Die Nähe zum Hauptbahnhof und zum Kern der City lockt zunächst leider auch Publikum an, das nicht so recht in unser Konzept  "Musik und Ambiente für ein junges Publikum" paßt. Gerade in der Anfangszeit ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen: Penner, Outlaws, Zuhälter und andere subversive Elemente stören ein friedliches Miteinander, da fliegen schon mal volle Biergläser in die Deckenventilatoren oder Fäuste in verschiedenste Richtungen. Die Krönung solcher Zwischenfälle ist die Abrechnung einer Gangsterbande mit unserem Zappes: der hatte sich von einer "PIK ASS"-Bande geklaute Spititousen liefern lassen und wohl vergessen zu bezahlen. An einem sonnigen Nachmittag - wir sitzen entspannt draußen vor dem Club und relaxen - halten plötzlich mit quietschenden Reifen zwei Mercedes-Benz vor uns, sechs schwarzvermummte Kleiderschränke springen an uns vorbei mit den Rufen "macht euch bereit zum Sterben", Barhocker fliegen in Richtung Flaschen, Spiegel und Gläser, es kracht und klirrt, ich rette mich und meine Plattensammlung durch Unsichtbarwerden, der Zappes rettete sich durch die Hintertür - und so schnell, wie alles begann, endet es auch wieder: die Kleiderschränke springen in ihre Autos und verschwinden mit durchdrehenden Reifen über die Schützenbahn. Wunderbarerweise ist eine Flasche Jack Daniels heil geblieben, die brauchen wir jetzt dringend zur Beruhigung, und mit der Hilfe einiger Stammgäste sind bis zum Abend alle Scherben weggeräumt. Vorgänge wie diese werden mit der Zeit zum Glück immer seltener, das City-Club-Leben kommt in ruhige Bahnen und wir fühlen uns sicher.

mmer nur Plattenauflegen, nahezu ununterbrochen mit netten Mädels flirten – das füllt mich nach einiger Zeit nicht mehr aus. Eine tief sitzende und bohrende Unruhe befällt mich, und da ich schon von Kind an durch eine fantasievolle Kreativität immer wieder positiv (?) aufzufallen wusste, setze ich diese Fähigkeiten nun gezielt für den Fortbestand meiner beruflichen Existenz ein. 


Victor Seroneit und sein Kumpel Sam: 
Folkduo aus Essen

Um auch abends Leben in den Club zu bringen und neues Klientel zu akquirieren, veranstalte ich neben epochalen Bilder-Ausstellungen mit nur Insidern bekannten einheimischen Meistern mind. 1x monatlich Folklore-Abende, bei  denen ich lokalen Musikern und Gruppen die Möglichkeit einräume, wenigstens einmal in ihrem Künstlerleben aus dem Probenkeller herauszukommen und in einer Ecke des Lokals (nicht zu laut) ihr Können einem nicht immer interessierten Publikum zu präsentieren...

Einer dieser Künstler ist der schon erwähnte Essener Sänger und Liedermacher Bernd Witthueser, der sich des Öfteren im City Club zeigt und auch hier auftritt. Er singt vorwiegend Texte von Thomas Rother, einem Essener Schriftsteller und Künstler, der nebenher auch noch als Redakteur bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (kurz WAZ) arbeitet. Seine Texte hinterfragen das System, sind sozialkritisch und haben speziell die Situation im Ruhrgebiet und die Sorgen der vor Ort lebenden und arbeitenden Menschen zum Thema. In dem folgenden Video singt Bernd neben dem thematischen Hauptsong "Wenn´s Arschleder zwickt" auch den Rother-Text "Wie die Pest das Land Karabul auffraß": 

Ein Portrait des Liedermachers Bernd Witthueser 
mit Ausschnitten aus seinem Programm "Wenn´s Arschleder zwickt"

 

Bernd kommt wie ich vom Skiffle, ist ein guter Gitarrist und Sänger, ein starker Typ, die Chemie zwischen uns stimmt: aus diesen Begegnungen entwickelt sich  Freundschaft und später eine fruchtbare musikalische Zusammenarbeit...

Im City-Club:
Walter an der Gitarre mit Sängerin - und das Pärchen rechts zeigt Bernhard mit seiner damaligen
 Lebensgefährtin Annegret D. vor seinem Portrait von Hilterhaus.
Bild WAZ 1967 

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DAS PODIUM

 

ls mein Arbeitgeber, der Wirt des City-Clubs Egon Mai, ein neues Projekt startet, sind Bernhard und meine unauffällige Wenigkeit mit bei der Party: ein Folk- und Jazzladen mit täglicher Life-Musik ist geplant, ein passendes Objekt gefunden: der in die Jahre gekommene "Künstlerkeller", ein uriges Kellerlokal am Gänsemarkt in der Innenstadt von Essen, ist ein alter reichlich runter gewirtschafteter Jazzladen mit viel Charme, und er besitzt den unschätzbaren Vorteil einer von der Theke abgegrenzten separaten Bühne mit einem kleinen feinen extraordinären Zuschauerraum. Wir entwickeln gemeinsam mit Wirt Egon ein entsprechendes Konzept, sowohl die Brauerei als auch die Bank sagen dazu JAWOLL (Jazzer trinken bekannterweise gern mal einige qcm Gerstenkaltschale), und 1967 wird das „Podium“ eröffnet und entwickelt sich schnell zu einem Begriff im Pott, zu einer Institution im Ruhrgebiet. Ich arbeite hier als Disc-Jockey, als Pausenclown, Ansager und Musiker, während Bernhard als Koordinator und Manager im Hintergrund für das Live-Musik-Programm die Fäden spinnt und die auftretenden Künstler engagiert und betreut (diese Erfahrungen helfen ihm später, als er Geschäftsführer der legendären Internationalen Essener Songtage 68 IEST wird). Alles, was Rang und Namen hat in Jazz und Folk und der Liedermacher–Szene, spielt fortan im PODIUM – tägliches Musik-Programm ist angesagt: ob Liedermacher wie Hannes Wader oder Horst Koch (der mit uns anschließend jedes Mal seine gesamte Gage versäuft), ob Dixieland vom Prager Jazz-Quintett, ob Jasper Ten Hoff´s Association P.C., Peter Brötzmann, ob Flamenco mit Manolo Lohnes oder klassisches Guitarrengezupfe vom Folkwang-Dozenten Dr. Beck, ob Ali Claudi mit seiner Jazzgitarre oder Blues vom Gitarristen Franz de Byl und Boogie Woogie mit Rolf Lebeda: Künstler und Bands, die an Wochenenden kaum Termine frei haben und zudem für uns nicht zu finanzieren sind, treten innerhalb der Woche zu ganz anderen - sprich bezahlbaren -  Konditionen auf. Dazu kommen Freejazz, Kabarett, Kleinkunst, Dichterlesungen: alles, was spielen kann oder etwas zu sagen hat, bevölkert fortan unsere kleine Bühne - und natürlich auch (un)bekannte (Nachwuchs-) Gruppen und Künstler aus Essen und Umgebung: lokale Jazzbands wie die Metropole Jazzmen oder meine Night Reveller Skiffle Group können hier Live-Erfahrungen sammeln, Spontansessions anwesender Musiker sind an der Tagesordnung und der wahnsinnige Ramses, Essener Piano-Unikat mit  Hosenträgern und Nyltesthemd, ist immer für ein „Chicago“ samt tiefer Verbeugung gut - und selbst die Studenten der Essener Folkwang-Musikschule finden hier ein Forum für ihre experimentelle Musik (was nicht unbedingt jedermanns Sache ist und auch weit über die Schmerzgrenze gehen kann). 


Walter mit seiner "Night Reveller Skiffle Group" gibt des Öfteren Gastspiele,
wie dieses Filmchen aus 1967 von Papa Hülsenbeck sehr schön zeigt
.

Es wird also reichlich und so richtig Musik gemacht, egal ob Jazz, Skiffle oder Folk - sowohl live als auch von Acryl. Das von uns entwickelte Konzept ist stimmig und geht auf: der Laden läuft super an. Wir leben von der Neugierde der Leute, die aus dem ganzen Ruhrgebiet, ja selbst aus der elitären Jazz- und Landeshauptstadt Düsseldorf angefahren kommen, um sich ein Bild von unserem ausgefallenen Musikprogramm zu machen und dabei zu sein: Mann & Frau treffen sich in angesagter Keller-Location, sehen interessante Künstler und Mitmenschen, werden gesehen, rauchen Gauloises, Roth-Händle und Reval ohne Filter oder drehen Schwarzen Krausen, trinken Pernod pur oder Jack Daniel´s-Cola: schwarz gekleidete Intellektuelle, schlaghosentragende Individualisten, minigekleidete Büromädchen im selbst gestrickten viel zu weiten Baumwollpullovern: der Laden ist Bühne für Musiker und Publikum. Es bilden sich Cliquen, die an bestimmten Tagen zusammen kommen, es gibt die Hasch- und LSD-Fraktion, die Jazz- und Folklorefans, die Clubgänger, Outlaws und Rumhänger - ein bunter Haufen, und alle zusammen bilden die Podium-Family. Einige bleiben außen vor - würden gerne dazu gehören, werden aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht an- bzw. aufgenommen: sie bleiben irgendwann fern, suchen Gleichgesinnte in anderen Gruppierungen, engagieren sich in Gewerkschaften und Parteien oder basteln an ihrer Karriere - jedem das Seine... 
Wichtig für das Flair - und nicht selbstverständlich bei der Lage des Clubs inmitten der City - ist das friedliche Miteinander der unterschiedlichen Alters-, Herkunfts- und Gehaltsklassen. Kein Stress, keine Schlägereien, keine Pöbeleien: einfach toll...


So sah es aus im Podium, wenn eine Band aufspielte: eng an eng und nah an der Musik

Aus dieser Zeit stammt eines der ersten Lieder, bei dem ich Bernd begleite:
" Rede des erschossenen Bankräubers an die noch lebenden Schweine und Hunde"
Text: Thomas Rother, Musik: Bernd Witthüser


ie erste Euphorie-Welle ebbt nach einem halben Jahr langsam ab, Alltag kehrt ein, der Reiz des Neuen ist befriedigt, andere Musik-Läden in der Umgebung öffnen, während bei uns an den Wochentagen (der Sommer zieht die Menschen leider raus an die frische Luft) der Besuch langsam aber stetig und unaufhaltsam abnimmt, da checken selbst wir als Nichtbetriebswirtschaftler, daß tägliche Life-Musik auf Dauer gesehen schwer zu finanzieren ist: trotz eines sehr guten Bierumsatzes verfliegt der Rausch langsam und stetig. Wir geben Durchhalteparolen aus und suchen Mäzene (?), während unser Chef Egon Mai erste graue Haarsträhnen bekommt und sein Kontostand langsam und unaufhaltsam im Minus versinkt. Auch mit seinem gutbezahlten "Nebenjob" im Kleidungsbusiness kann er die vielen sich auftuenden Löcher irgendwann nicht mehr stopfen - letztendlich säuft er mitsamt seinem Lebenstraum ab, und wir werden von heute auf morgen arbeitslos. Uns fehlt nun der karge Lohn, und mir das kostenlose Elexier zum Überleben: Jack Daniel´s (oder wenns ihn irgendwo gibt: George Dickel´s) Tennessee-Whiskey mit Eis und Cola. Ich weiss: für echte Whiskeytrinker der blanke Kulturbolschiwismus, aber für mich bis dato umsonst, vollmundig durch aufwändiges Herstellungsverfahren, wachhaltend, belebend, und mit einigen Umdrehungen versehen gut fürs Wohlbefinden. Dieser Verlust ist genau genommen der Auslöser dafür, daß ich vorübergehend auf das billigste aller flüssigen Rauschmittel "Bier" umsteige. Wir im Stich gelassenen Heimatlosen halten uns fortan mit vereinzelten Konzerten und Kurzzeitjobs über Wasser und sichern uns so ein eigentlich musikerunwürdiges Überleben.

Das PODIUM wird nach einiger Zeit wiedereröffnet, und unter neuer Leitung mit einem anderen Konzept kehrt das Leben zurück in diese wunderbare Location - diesmal leider ohne unsere eigentlich unverzichtbare Mitarbeit. Die Musik wird psychedelisch und kommt aus der Konserve, das Publikum wird jünger und hipper, und in der Tiefgarage nebenan - wo ich mein Moped immer parke - wird der Bewusstseinserweiterung auf die Sprünge geholfen (gegenüber im Lager des Bekleidungsfachgeschäftes Klasmeier richtet daraufhin das Rauschgiftdezernat eine Aussenstelle ein und fotografiert von dort fleissig das emsige Treiben im Parkhaus). Ihnen wird daher mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit Katanga nicht entgangen sein, der hier Abend für Abend eine Verkaufsstelle neben seinem Auto errichtet - mit Klapptisch sowie der nötigen Soft- und Hardware. Sein Markenzeichen hat er immer am Mann: ein grosses Messer, mit dem er etwaigen Handgreiflichkeiten vorbeugt und gekonnt das Haschisch portioniert. Er verkauft immer gutes Zeug, für etwas mehr Geld gibts auch einen ausgesuchten schwarzen Afghanen oder Konzentrat fürs Kuchenbacken. Egal - wir können mit alledem gut leben, und als Gäste bleiben wir "unserem" alten neuen Laden natürlich treu... 

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ESSENS ERSTE HIPPIES

m Sept. 67 - genau gesagt am Freitag, den 08. gegen 12:00 mittags (High Noon!) - veranstalten wir das 1. Essener Love-In. Wir haben Jerry Rubins "DO IT" gelesen und wollen das Gelesene (Theorie) nun mit Leben erfüllen (die Praxis). Mit anderen Worten: wir wollen Fleisch an den Knochen bringen: Wir wollen testen, ob dieses Essen schon reif für die Liebe ist. Also packen wir uns in Omas Wolldecken, setzen uns alte Brillen auf, Die ersten Essener Hippies Walter W. und Bernd W. stecken uns Blumen ins Haar, holen uns musikalische Verstärkung durch Sandro Styers Banjo und Willi Stichts Gitarre sowie seine starke Stimme - dazu stossen als moralischer Rückhalt noch Heinz Hundt und der Disc-Jockey Rainer Maria Hinz - und wir alle zusammen stürmen  (in) die Stadt. Mit diesem unserem Spontanangriff  legen wir in Nullkommanix den zentralen Kennedy- Platz in Essen lahm. Wir singen "we shall overcome" und irgendwas von San Francisco sowie eigene Songs wie "Fragt uns nicht: woher und wohin", anschließend laufen wir durch die staunend stehen gebliebenen Menschen, verteilen unsere mitgebrachten 100(0)e von Blumen (lasst Blumen sprechen, nicht die Politiker) an die Passanten und geben ihnen lebenswichtige Weisheiten mit auf ihren steinigen Weg durch ihr Sein wie: "Liebe Deinen Nächsten mehr als Dein Portemonnaie – Steigt aus - Fresst Euer Geld und sterbt daran - Liebe, solange Du noch warm bist..."  Wir steigen ins (Brunnen-) Wasser und umrunden mit unseren Instrumenten das einzige Mädel, das wirklich still stehen bleibt und konzentriert zuhört: die Badende "Jungfrau“, unsere Hippie-Braut in ihrem Swimmingpool. Die Menge hält uns mittlerweile für total bekloppt - nicht alle lieben blumige Bacchanten, die scheinbar Ghandi und Buddha zu ihren Vorbildern erkoren haben - oder sie halten uns schlichtweg für arbeitslose Gammler: "so jung und schon so´n Bart", "die sind zwar verrückt, aber trotzdem sympathisch". Ein paar Eiferer warten mit damals oft gehörten Vorschlägen auf, wie uns verwirrten Jünglingen geholfen werden kann: "die gehören eingesperrt" - "bei Adolf"... - "arbeitsloses Gesocks", "KZ" usw., während Harmlosere uns nur ins Arbeitslager stecken wollen. Das Schlimme dabei: das ist nicht nur einfach so daher gesagt - diese "Gutbürger" meinen das wirklich ernst. Die Blumen, welche sie kurz vorher selbst mit einem Lächeln entgegengenommen haben, sind plötzlich vergessen - auch wenn sie noch im Knopfloch der Jacke stecken

undfunk sowie Presse kommen angerast und interviewen Akteure und Beobachter – für das biedere Essen, das sich immerhin „Großstadt“ nennt, ein Medienereignis allererster Güte (in Düsseldorf, Berlin oder München hätte sich niemand nach uns umgedreht - höchstens um zu fragen, wo es diese schönen Blumen gibt). Aus den Büros strömen Sekretärinnen und Beamte (das musst Du gesehen haben: da sind so´n paar Irre unterwegs), die umliegenden Kneipen leeren sich spontan - und die Menge gafft und staunt: die City steht für einen Moment still. Doch hätten wir "BUHHH" geschrien, wären sie alle vor Schreck wieder weggerannt. Dann kommen endlich auch die Bullen staatlichen Organe, regeln den stockenden Verkehr, schirmen uns ab und fragen nach einer Demonstrationserlaubnis, dann tropft auch noch Regen von oben (von unten sind wir ja aufgrund unserer Kneipp-Einlage schon angefeuchtet), die Versammlung löst sich langsam auf, die Menschen verteilen sich und ziehen sich zurück in die Büros und Kneipen, der BGS packt seine Wasserwerfer wieder ein: damit geht unsere Love & Peace-Parade friedlich zu Ende  – wir Bürgerschrecken steigen zufrieden runter ins Podium und feiern unseren Erfolg – das Leben ist ein wunderbarer einzigartiger Spaß.

Essens 1. Blumenkind...

...und hier sind bewegenden Bilder dazu:


Hippies in Essen (v.l.n.r.): Rainer-Maria (Rücken), Heinz, Walter, Bernd, Sandro und Willi

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DAS GUMMIBOOT

ines Nachts – es ist logischerweise stockduster draußen und auch dumpf-dunkel in unseren Köpfen – spricht Bernhard mit unheilschwangerem Unterton in der Stimme (wir sind zu dritt im Podium versackt und so gegen 3 Uhr morgens auf dem Heimweg): Ey, Jungs, watt liegt an - watt geht ab? Ich hab noch keinen Bock auf schlafen. Aber nirgends ist noch was los, und die Mädels sind um diese Zeit alle schon vergeben! Ich hab ´ne Wahnsinns-Idee: Wir fahren heut Nacht mal zur See! Watt? Ja, auf dem Baldeneysee!
Womit? Ich hab ein Gummiboot. Wie Gummiboot, wo? Im Keller! Im Keller is kein Gummiboot! Doch, bei meiner Mutter im Keller. Hasse ´n Schlüssel? Nee, wir klingeln! Hasse ma auffe Uhr geguckt? Egal! Gut, O.K., wir erst einmal wieder zurück zum Podium, Gin und O-Saft eingepackt, dann mit dem Taxi zu Muttern, die aus dem Bett geklingelt, Boot und Pumpe eingeladen und dann ab zum Baldeneysee. Das Boot, eine Latex-Nussschale mit einem Minipaddel, wird aufgeblasen und zu Wasser gelassen, den Proviant rein, wir rein und dann ab Richtung Seemitte. Kurs Süd-Oooost Oooost. Der Wind pfoff von Luv, ein Hund boll. Die Uferlichter verschwinden langsam hinter unserem Kielwasser, wir überlassen das Boot sich selbst und den Gin kreisen: auch bei uns gehen langsam die Lampen aus und es/uns wird nebelig. So treiben wir in der Seemitte und singen mit unseren hellen Knabenstimmen Hans-Albers-Lieder in die Stille. Es wird schattig und immer nebeliger, bis uns auffällt, dass der Nebel jetzt auch noch von außen kommt. Ermattet sinken wir zurück, erholen uns mit ein paar kräftigen Schlucken von diesem Schock und von den Strapazen unserer Gesangseinlagen – da fällt mir ein leises wohl bekanntes Geräusch auf: einer furzt - und hört gar nie nicht auf zu furzen. Nach eingehender Untersuchung und entsprechender Geruchsproben stellen wir  übereinstimmend fest: es ist keiner von uns! ES IST DAS BOOT! Und das fängt prompt an, in der Mitte einzuknicken – wir haben einen Platten, ein riesiges Leck - und Wasser tritt ein. An Bord bricht sofort die helle blanke Panik aus: wo ist das verdammte Flickzeug.  Es ist irgendwie wohl in der Werkzeugkiste – und die ist zu Hause bei Mutti. Wir haben die Rettungsringe vergessen, auch die Rettungsboote sind weg, wir haben keine Leuchtraketen mit, unser Funkgerät ist (wahrscheinlich von Piraten gestohlen) nicht mehr da, das Echolot haben wir in den Schweizer Alpen liegen lassen (wegen der Akustik). Sind wir verloren? Wo sind die Seenotrettungskreuzer und die DLRG-Schnellboote, die sonst zu Hunderten hier herumfahren? Darf es für Lebensretter überhaupt Feierabend geben? Wir sind verloren. Was für ein Tod. Was wird in unseren Nachrufen stehen? Wohl nichts Gutes. Und wir sind doch noch so verdammt jung.

ährend ich verzweifelt und mit nur mäßigem Erfolg versuche, das Boot während der Fahrt wieder aufzupumpen, paddelt der zweite Offizier los und Bernhard – er hat sich mittlerweile zum Kapitän ernannt und übernimmt neben der Verantwortung auch die Navigation (und verwechselt dabei vor Aufregung immer backbord mit links), um uns ans rettende, auf Grund des Nebels aber unsichtbare Ufer zu bringen. Zunächst landen wir natürlich auf der falschen Seite des Sees, pumpen dort nach, schütteln unsere Schuhe aus und ab geht es wieder aufs/ins Wasser und mit erhöhter Schlagzahl (120) zurück zum Anlegesteg des „Ruderclub am Baldeneysees“, den wir nach ca. 20 Stunden (!) finden, nachdem wir wohl den ganzen See umfahren hatten (ca. 1,5 x Marathonstrecke). Wir kriechen auf den Steg, binden mit einem doppelten Windsor-Knoten das Boot seefachmännischst an einem Poller fest und sinken erschöpft, unterkühlt und halbtot (sprich besoffen) auf die Bretter, die für uns das Überleben bedeuten  – und fallen in einen schock- und ohnmachtsähnlichen Tiefschlaf. Jahre später erst schrecken wir wieder hoch, aufgeweckt vom Gebrumme der Rettungshubschrauber – nein, es sind die Fluggeräusche eines riesigen Bienenschwarmes, ja eines ganzen Bienenvolkes (ca. 1 Mio.), das um unseren Gin-O-Saft düst und sich den Rausch seines Lebens ansäuft – den Honig hätte ich gerne mal probiert.

achdem wir am Stand der Gestirne die Uhrzeit bestimmt haben (es muss wohl so gegen 11 Uhr vormittags sein) und anhand der Kerben in der Gummiboothülle feststellen, dass es Sonntag ist, wir dann durchzählen und die Besatzung wie auch unsere Knochen als vollständig befinden, nehmen wir unsere Umgebung wahr, welche uns schon längst entdeckt hat: die Uferpromenade ist voller Sonntag-Morgen-Spaziergänger, die uns anstarren, als wären wir gerade - von einer Grönland-Expedition zurück kommend - hier gestrandet. Womit sie ja gar nicht so falsch liegen – wir bieten ein Bild wie aus einem kanadischen Abenteurerfilm. Wir verteilen Autogramme, geben Interviews und nehmen Glückwünsche entgegen, dann schultern wir unsere Ausrüstung und starten unseren langen Marsch zur nächsten Bahnstation, um in die Heimat zurück zu kommen. Wir sind verdammt stolz, den Naturgewalten getrotzt zu haben – wir haben dieses mörderische Abenteuer unbeschadet überlebt, was natürlich unser Selbstwertgefühl ungemein stärkt. Oft sitzen wir fortan abends im Podium und müssen diese unglaubliche Geschichte erzählen – na ja, da ist dann auch schon mal von Haien die Rede und von angreifenden U-Booten – Seemannsgarn eben: darauf einen Gin mit O-Saft!

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© 2003 by Walter Westrupp - letztemalig fortgeschrieben im März 2015