Witthüser Westrupp - Die Jesuspilz-Oper: Konzept-Produktion-Uraufführung & Diskussionen

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Die göttliche Geschichte der W&W - Oper

Es begab sich einst zur Frühjahrszeit
das einer zog in Fröhlichkeit
seine Felder zu besähen
um im Herbst viel abzumähen
und er zieht durch Wald und Feld
hat bald alles Land bestellt
bis er an der alten Lind`
ein kleines Stückchen Brösel  find´t

Er hebt es auf, probiert ein Stück
schließt die Augen und lehnt sich zurück
der Raum um ihn wird weit und breit
und ihm ist als sei er Ewigkeit
da geht auf das große Tor
und er hört der Engel Chor:
„Geh hinaus auf dieser Erden
dass alle Menschen Brösel werden!“

Nun zieht er durch weites Land
mit dem Brösel in der Hand
stillt den Sturm, bannt die Gefahr
holt Tote von der Totenbahr
und er sammelt mit der Zeit
Leute um sich, die bereit
von des Tempels hohen Stufen
die Bröselbotschaft auszurufen

 Witthüser & Westrupp - "Erleuchtung und Berufung"
von der LP "Der Jesuspilz"

 

KONZEPTE PROBEN IM STUDIO WELTURAUFFÜHRUNG
DISKUSSIONEN  DER BRÖSEL WIRKT

DIE IDEE

ft sind wir gefragt worden: "wie um Himmels Willen und wann ist Euch denn dieser wahnwitzige Gedanke gekommen, für einen Liederzyklus die Bibel als Vorlage für ein Programm aus dem Bücherregal zu holen?"

Da muss ich erst einmal etwas weiter ausholen und beginne mit Sergius Golowin, unserem Schweizer Guru. Bei einigen langen intensiven gemeinsamen Nachtsitzungen mit ihm „bei Kerzenschimmer und Kräuterwein“ beginnt ein Gedankenaustausch, zunächst ausgehend von eigenen Erfahrungen mit hintergründigen, doppel- und/oder mehrdeutigen Geschichten, bei Paracelsus, Gelpke, indischen Märchen, Carlos Castaneda... - und letztendlich landen wir bei den Horror-Geschichten der Gebrüder Grimm (das hatten vor uns ja auch schon die Adams aus der gleichnamigen Familiensaga festgestellt - die Kinder durften wegen dieser schrecklichen Geschichten von Hexen, wilden Tieren usw. die Schule nicht mehr besuchen). „Warum“ fragt uns Sergius „gibt es im Märchen ein Rotkäppchen? Jeder weiß, was damit gemeint ist“ „Warum zieht es Hänsel und Gretel zur „Hexe“?“ Wir pflücken die Märchen auseinander. „Warum erscheinen zu Weihnachten die Engel in den Häusern?“. Weil der gemeinhin als Tannenbaum bezeichnete Nadelbaum, wenn er denn eine Eibe ist, entsprechende Ausdünstungen hat, welche dem Einatmer die Engel erscheinen lässt. Und das muss auch nicht unbedingt zu Weihnachten sein, es kann sogar mitten im Sommer beim Rasenmähen passieren, wenn genug Eiben in der Nähe rumstehen. „Warum“ führt er weiter aus „hatte Schiller immer einen Stechapfel in seiner Schreibtisch-Schublade?“ Einfach weil ihm mit diesem Hilfsmittel viel Gutes einfiel, wie auch Jahrhunderte später noch feststellbar ist. Ach ja: „Und was für ein Apfel hing bei Adam und Eva damals am Paradiesbaum?“ „Welcher Pfeifentabak wird angezündet, wenn ein Märchen erzählt wurde?“ „Was rauchen denn eigentlich die Indianer?“ Und so geht das immer weiter und weiter, wir sprechen über Kräuterer, Heiler, Seher - und Sergius hat immer noch einen drauf zu setzen. Wir reden nächtelang, ohne irgendwelche Gedanken, solche Dinge vielleicht irgendwann in unserer eigenen Musik zu verarbeiten. (Oder plante da jemand im Hintergrund etwas von langer Hand).

Ganz zufällig (?) springt uns dann irgendwie irgendwo irgendwann ein Buch aus dem fernen Engeland in die Hände: John M. Allegros Buch „Der Geheimkult des heiligen Pilzes“, in dem der Autor anhand neuer Funde in Mesopotamien und eigenen intensiven Forschungsarbeiten zu dem Schluss kommt, dass die Geschichten der Bibel auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden können - und damit einen neuen mystischen Sinn ergeben. Wir können diesem Gedanken folgen, haben selbst ja schon ähnliches erlebt auf unseren "Reisen", ist uns Bestätigung bei unserer Suche nach dem spirituellen Verhältnis zur Welt und zu uns selbst. (wau - das klingt ja fast wissenschaftlich und anthroposophisch, dabei sind wir nur zwei Neugierige, die solche Ansichten aufsaugen).   

All diese Geschichten, die Gespräche, das angelesene Wissen haben wir wohl doch verinnerlicht und warten eigentlich nur noch auf einen Kick, den Klick, den Funken, die zündende Idee, den Anstoß, um all das in ein neues Projekt einzubringen. 

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KONZEPTE

Der Meister - Bernd Witthueser himself Bernd Witthüser: 
Prophet? Verführer? Prediger?
Neuer Messias? Provokateur?

ieser auslösende Funke trifft uns, als die aus Amerika herüber schwappende Welle der Jesus-People-Bewegung auch Deutschland erfasst: da wird uns (mal wieder plötzlich) ganz klar, wie wir dieses unser spirituelles metaphysisches Wissen und Bewusstsein einsetzen können, ja müssen: eine zeitgemäße, ballastfreie, erfrischende freakverständliche ehrliche und offene musikalische und textliche Neuschöpfung des größten Bestsellers der Welt zu schreiben - und zwar in deutscher Sprache. Einmal in Fahrt, spinnen wir weiter, setzen wir noch einen drauf mit der wahnwitzigen Idee, dieses Werk als bunte Bühnenshow herauszubringen – mit befreundeten Musikern als Begleitband, mit 12 Engeln als Backroundchor – alle Mädel im Nachthemd - Bernhard (allein wegen seines unauffälligen Äußeren) als Jesus und ich als ungläubiger Thomas und Sergius als Gottvater in himmlischer Kulisse.

as wir nicht wissen: sowohl unser Produzent Rolf-Ulrich Kaiser als auch unser Guru Sergius Golowin planen ähnliches - und das erfahren wir bei einem 1. Arbeitstreffen in Kaisers Zentrale in Köln-Dellbrück. Dort präsentiert zunächst Kaiser den Entwurf einer modernen Märchen-Oper mit dem Titel "die sieben Reisen". Das Ganze spielt in Südamerika, und neben W&W treten noch drei weitere deutsche Popgruppen auf, die uns bei speziellen Szenen begleiten und unterstützen. Das Ganze soll eine multimediale Show werden mit echten Schauspielern, Livemusik, Film-Einspielern, jede Szene vor einer anderen Kulisse. Es treten Hexen, Zuhälter, Diener und Dirnen, Achterbahnschaffner und watt weiß ich alles auf: der helle Wahnsinn. Seine Muse Sternenmädchen Gille applaudiert freudig erregt, Bernd und ich schauen uns fragend an: hat Kaiser vielleicht zu viel von seinem Spezialkaffee genascht?
Nach einer Pause (wir müssen uns erst einmal von diesem Schock erholen) kommt Sergius Golowin und stellt sein Projekt vor: Jesus - der Zauberer von Babylon - der Herr der sieben Siegel! In seinem Exposé schildert er in 8 Szenen, wie der Schüler eines alten Weisen zu Jesus wird - von der Erleuchtung (in Babylon aus Umweltzerstörung geboren) über die "Wasser-in-Wein-Verwandlung", die Sammlung von Jüngern (Szene wie Woodstock), die Kreuzigung bis hin zu den Kindern des Lichtes (Auferstehung). Sein Entwurf hält sich mehr oder weniger an die Originalgeschichte, aber in moderner Kulisse, verbunden mit einer Menge Personal (Musiker, Kinderchor, Schauspieler etc.). Das Ding können wir nur in Theatern oder großen Stadien aufführen: das ist so irre - wir können nur staunend in dem vorliegenden Manuskript blättern - auch er meint es ernst.
So hat Sergius sich seinen Zauberer wohl vorgestellt:
einfach göttlich...

Nun kommen wir mit unserer Vorstellung unseres Konzeptes, aber bis auf die sensationelle Idee mit dem geilen Engelchor haben wir ja eigentlich nix Ausgearbeitetes anzubieten. Wir geben wohl zu bedenken, dass die vorgestellten Ideen der Vorredner unserer Meinung nach sieben Nummer zu groß für uns sind und wir schon froh wären, wenn wir für eine stinknormale Plattenproduktion die Musiken und Texte zusammen bekämen - das wäre ja auch schließlich unsere ureigenste Aufgabe als Musiker. Uns würde da mehr ein Konzeptalbum durch die grauen Zellen schweben: ein Lieder-Zyklus von der Erschaffung des Brösels als Ur-Substanz bis hin zu der wunderbar himmlischen Erkenntnis, dass dieser Brösel auch heute noch wirkt. Nach Diskussion werden die  beiden "großen" Vorhaben zunächst zurückgestellt, unser Engelchor endgültig abgelehnt - und das Augenmerk auf eine Plattenproduktion gelenkt. Leider können wir selbst dafür - noch - nix handfestes vorweisen. 

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PROBEN

 


Walter im großen Saal der Musikakademie bei den Proben an der e-Gitarre

ir ziehen uns zurück in die
 Einsamkeit der Musikakademie Remscheid. Das geschieht natürlich nicht ganz freiwillig, sondern auf "Weisung" von fast ganz oben (sprich RUK), der genau weiß, dass wir faule Säcke sind und uns in unserer gewohnten Umgebung in Essen nur zu gerne ablenken lassen. Mit der Musik haben wir keinerlei Probleme - dafür spielen wir zu oft zusammen - es sind die Texte, die uns nicht so leicht aus dem Füller laufen wollen. In Remscheid ist der Hund begraben, wir haben die gesamte Akademie zu unserer Verfügung (sind wohl Semesterferien) - vor allem den Musikraum mit dem gesamten Orffschen Instrumentarium sowie den großen Saal mit seiner riesigen Fensterfront zum Wald hin. In unseren Klosterzellen können wir ansonsten gar nichts anderes als Texte schreiben - das wollen wir auch so schnell wie möglich hinter uns bringen.

Zunächst klappt aber überhaupt nichts außer der Eingangstür: uns fällt nix ein, uns fällt nix auf, uns hellt nix auf.


twas ähnliches wie Sonnenschein schimmert dann dennoch in unser trübes Dasein: zu unserem Glück ist zur gleichen Zeit auch Peter Burschs Bröselmaschine aus Duisburg zugegen - von Kaiser ebenfalls zur Klausur verdonnert. Sie bringen mit ihrer Sängerin Jenny zumindest etwas Licht in das tiefe Dunkel unserer Tage - und Gitarrist Willi Kissmer einen belebenden hardrockig bluesigen Klang in diese heiligen Hallen! 

Irgendwann und -wie tröpfelt dann auch endlich und buchstäblich unsere "Kleinversion" des Jesus-Pilzes aus Füllern und Stiften: von der Schöpfungsgeschichte „Am Anfang war nichts als Brösel“ über die Verteilung und Verbreitung der „verschlüsselten Botschaft“ bis hin zur spanischen Variante einer „erfolgreichen“ Apokalypse erarbeiten wir einen nachvollziehbaren logischen Bogen dieser Geschichte von Anfang bis Ende. Wir sind mit diesem unserem Brösel-Zyklus sehr zufrieden, von der Zusammenstellung und Abfolge der Kompositionen sowie der vorgesehenen Instrumentierung überzeugt, auch musikalisch haben wir einen dem Thema angemessenen folkloristisch-volksnah zu nennenden Sound gefunden - das Ergebnis ist unserer Meinung nach absolut vorzeigbar und hörenswert. Und tatsächlich: die Plattenfirma findet es gar bombastisch, Sergius sieht die Botschaft wunderbar verpackt und genießbar ("viele haben gesehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen - und viele haben gewünscht zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört")  – nur in den Clubs und den Kleinkunstbühnen, wo wir auftreten, um einige Stücke aus diesem neuen Opus zu testen, kommt unsere Botschaft nicht so richtig rüber. Vampire, Tote, Nonnen: O.K., Trips & Träume: auch gut, aber von Saulussen zu Paulussen: kommt nicht gut rüber. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen...   

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STUDIO DIERKS

m August 1971 geht es erst einmal wieder ab ins Studio nach Stommeln, wo die Aufnahmen zum Jesuspilz anlaufen. Das Dierks-Studio ist weiter ausgebaut worden, die Technik gigantisch und der Spaß bei der Arbeit noch größer. Was Dieter Dierks bei den Aufnahmen an Ideen mit reinbringt (Außenaufnahmen mit Life-Atmo von Treckern, quietschender Schaukel, Düsenjäger etc.) und was er am Mischpult vollbringt, ist einfach der Wahnsinn. Wenn wir sagen: lass doch die Flöte von hinten reinkommen und dann nach oben wandern, dann erscheint die Flöte  hinten und steigt auf. Wir hätten den Chor gerne ein wenig breiter, dann geht ein Tor auf und der Chor wird weit. Wir sind alle auf dem gleichen Level und alle Ideen werden ausprobiert und befruchten die gesamte Zusammenarbeit: ein Team im Zeichen des Pilzes. Hier wird Klang geschaffen, weit und breit und hymnisch: mir läuft es auch heute noch den Rücken rauf und runter, wenn ich an diese Sessions denke.

Bei dem spanischen Finale auf der LP hat Dieter aus den 3 eingesetzten Instrumenten (Gitarre, Flöte und Kastagnetten) - die wir übrigens nacheinander eingespielt haben (zuerst nur die Gitarre mit Text, dann die Kastagnetten und zuletzt - obendrauf - die Flöte), eine gigantische Musik gezaubert. Wenn ich es mir jetzt im Nachhinein anhöre, dann erscheint eine solche Arbeitsweise bei so einem "Werk" eigentlich unmöglich - aber es ist ein hervorragendes Beispiel dafür, durch welches gemeinsame Gefühl und mit welchem Verständnis füreinander diese Musik durch uns Beide überhaupt entstehen konnte. Wir haben Dieter Dierks oft Danke gesagt, ich möchte es an dieser Stelle noch einmal wiederholen. Kaisers Kaffee war mit Sicherheit auch ein Garant dafür, dass Spannung und Konzentration bei der Arbeit nie nachließen.

Im Vorfeld dieser Produktion schlugen wir - wie schon erwähnt - den Einsatz eines  Engelchor vor - auch im Hinblick auf eine evtl. Tournee und den damit verbundenen gemeinsamen Stunden mit 10-12 netten Sängerinnen. Diese Idee wird vom Produzenten jetzt doch noch aufgegriffen – aber er plädiert (wahrscheinlich wg. der Schwierigkeit, echte Engel zu besorgen oder um uns einfach nur diesen Spaß zu vermiesen) für den Einsatz eines Kinderchores.

Per Zeitungsaufruf melden sich spontan 60 Kinder zum Vorsingen, und wir wählen aus den diversen Heintje-, Mirelle Mathieu- oder Vicki Leandros-Doubles (wo die Muttis im Nerzmantel vom Gesangsunterricht der Tochter erzählen und wie gut ihre Kinder sind - aber eben so nervös) die echten unverbrauchten originalen „Kölschen Jungs & Mädels“ (Ich bin der Kölsche Hennes...) aus. Mit diesem Chor nehmen wir nach intensiven Proben (wir kürzen dabei den ursprünglichen Text nach anfänglichen Schwierigkeiten auf ein erlern- und leicht singbares „LeiLeiLei“ ab) neben dem LP-Titel „Die Erleuchtung“ auch gleich noch eine gleichnamige Single auf.

Pobenarbeiten mit Chorleiter Walter W.
Oberchorleiter W. mit stark morivierten SängeriInnen im Dierkschen Studio-Garten
Foto Marcel Fugère

a wir sowieso gerade im Studio stehen und die Instrumente gestimmt sind und wir nicht nur so rumklimpern wollen, kommt die grandiose Idee einer zusätzlichen englischsprachigen Singleversion über uns - Novum in der W&W-Geschichte. Im Nu hat Dieter Dierks einen Text aus dem Ärmel geschüttelt - musikalisch basierend auf der Single A-Seite Erleuchtung und Berufung - mit dem Titel „Magical Land“. Er besorgt für den "Pop-Grund-Sound"  einen "Studio-Schlagzeuger", der das Timing aber nicht wirklich erfunden hat und Übergangswirbel zaubert, die so in der Branche erfolglos zu suchen und somit einzigartig zu nennen sind. Wir setzen - damit das Getrommele nicht so auffällt - ein Mellotron drauf, der Chor singt noch mal "LeiLeiLei", ich spiele Bass und vieles andere mehr drunter, Bernd singt pitching english - und das Ding ist trotz der rhythmischen Störungen schnell im Kasten.

 

Den internationalen Markt erobern wir damit nicht (ist mir zumindest nicht bekannt), trotz einer außergewöhnlichen B-Seite, aufgenommen als The Magic Group. Es ist die Reminiszenz an unsere ersten musikalischen Schritte: ein skiffeliges Werk mit Waschbrett und Kazoo, Ukulele, Banjo und sonstigem Skiffle- Zubehör. Das alte Klavier von der Trips & Träume - Produktion ward mit Heftzwecken zum Knopfklavier erweitert und dem Werk der vielsagende Titel Crazy Inspiration gegeben. Diese Komposition ist total anders ist als alle anderen W&W-Titel, ich habe sie hier als Soundfile eingebaut - und das wartet nun auf Abhörung:

THE MAGIC GROUP - Das Plattencover

 

 
 

Damit sind die Aufnahmearbeiten endgültig abgeschlossen, es geht ans Abmischen - alle aufgenommen Ton-Spuren werden nun zusammengeführt. Dabei ist Dieter Dierks noch mal so richtig gefordert, und er weiß genau, was geht und was er kann und was wir wollen: seine Arbeitsweise ist einfach genial - und das Ergebnis entsprechend: wir als Musiker und die Produzenten sind nach nächtelanger Arbeit total zufrieden mit allen fertigen Produkten (LP und die beiden Singles). Anschließend läuft die Vinyl-Produktion an, und auch Kaisers Presse-Arbeit kommt langsam aber stetig auf Touren und beginnt zu wirken: aus unserem "Liederzyklus" ist mittlerweile eine "JESUS-Oper" geworden, und -  damit auch die Unwissendsten merken, was los ist - wird unser wunderbarer Pop-Art-Fliegenpilz zum vieldeutigen Symbol des Ganzen: nicht nur für die Oper, sondern er verschönt unübersehbar sowohl das Cover der LP wie auch die Tournee-Plakate, und last but not least dient er Kaisers neu geschaffenem Label "Pilz" als passendes Logo. Dieses Label läuft unter der Flagge des Chemiegiganten BASF, der neben der Hardware für Musik (Vinyl, Kassetten) nun auch die Software - sprich Musikproduktionen - mit in sein Programm nimmt - und unser Jesuspilz ist der Aufhänger: hört den Sound der Pilze! Eigentlich aber wären wir unserer unmaßgeblichen Meinung nach beim BASF-Konkurrenten SANDOZ viel besser aufgehoben gewesen, schließlich hat unser Hero Albert (Hofmann) eben dort die wunderbare Wirkung seines Lysergsäurediethylamids endeckt.

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WELTURAUFFÜHRUNG

etzt müssen – auf Grund unserer schlechten Konzert-Erfahrungen mit unserem Brösel-Zyklus -  unbedingt und schnell adäquatere Auftrittsorte her als die bisherigen Kabarettbühnen und Folkclubs. Frage: „Wo ist so ein himmlisches Thema am besten aufgehoben, wo kann so etwas überhaupt aufgeführt werden?“. Großes Schweigen erfüllt den Raum. Dann eine Stimme (leise, fragend, fast ängstlich): "Vielleicht in einer Kirche? Die stehen doch sowieso meist leer - und haben zudem eine geile Akustik!" Überrascht stelle ich fest, dass mir das so rausgerutscht ist. Verschämt, ja fast entschuldigend schaue ich in die Runde, die Anwesenden schauen mich ungläubig an - und dann bricht es aus allen heraus: YEAAH was für ein Vorschlag.

WAAAUUU: Das ist mal wieder so eine Idee mit Donnerhall. In Kaisers Kopf überschlagen sich die Gedanken, unverzüglich lässt er seine Promotion-Maschinerie anlaufen: er verbreitet in Zeitungen und Magazinen flugs diesen unseren sehnlichen tief verwurzelten Wunsch: 
W&W kann Kirchen füllen mit einer Botschaft, die auch Jugendliche akzeptieren und verstehen: 
"Eure Kirchen werden voller  Menschenkindern sein, die eigentlich mit der Kirche nichts mehr am Hut haben". Und siehe da, wir glauben es kaum, kommen prompt die ersten Anfragen und dann mehr und immer mehr: wir planen eine Kirchentour  durch ganz Deutschland und  wollen diese Tournee mit einem Paukenschlag beginnen. Kaiser fragt nach in der Apostelkirche zu Essen: in dieser Kirche sind wir beide konfirmiert worden, und an diesem Ort soll der Startschuss erfolgen. Das Presbyterium tagt, und nach Kampfabstimmung kommt tatsächlich weißer Rauch aus dem Kamin. JA: hier wird die Welt-Uraufführung stattfinden.

W&W vor der Apostelkirche in Essen, dem Ort der Welturaufführung ihrer Jesus-Pilz-Oper
W&W vor der Apostelkirche in Essen - Foto Marcel Fugère

Das off. Poster zur Welturaufführung der 1. deutschen Jesus-Oper

20 Fernsehteams, eine Unmenge von Radio- und Zeitungsleuten belagern die ersten Bank-Reihen der restlos überfüllten Kathedrale. In Zeitungen wird von bis zu 1000 Gläubigen (?!) gesprochen - dabei fasst die Kirche max. 400 - da hatte wohl der Brösel bei manchen schon gewirkt. Es wird ein tolles Konzert (Bernhard singt verdammt belegt und ich habe bis zum Schluss einen bis dato nie vernommenen Natur-Tremolo in Stimme und Händen wie sonst nie wieder erlebt), aber alles geht gut und wir haben Standing Ovations mit Pfiffen und Buh-Rufen (aber viel weniger, als wir zu hoffen gewagt haben). Die „echten“ Jesus-People sind schon vor Ende unserer Verkündigung von Dannen gezogen, was aber niemanden im weiten Rund weiter tangiert - und so verpassen sie diese wunderbare Aufführung:


 

 Bewegte Bilder von der Welturaufführung der Jesuspilz-Oper

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DISKUSSIONEN

ach dem Schlussakkord entwickelt sich eine offene Diskussion::

Frage: „Warum in der Kirche?“
Antwort: „Weil die sowieso leer stehen und so eine tolle Akustik haben.“
Frage: „Warum eine Jesusoper?“
Antwort: „Wir hätten auch eine Rotkäppchen-Oper schreiben können, ist auch ´ne dufte Geschichte – aber wer will die schon hören“.
Frage
: „Reitet ihr mit auf der aktuellen Jesus-Welle"
Antwort: „Nein - die Jesus-Welle rollt doch mehr oder weniger schon seit über 2000 Jahren"
Frage: „Was ist die Botschaft?"
Antwort: „Es ging uns darum, Werte, die seit 2000 Jahren bestehen, neu zu formulieren und damit jedermann zugänglich werden zu lassen."
Frage:
„Sind eure Texte deshalb so naiv?"
Antwort: „Naiv heißt einfach, also für jedermann verständlich." 
Frage: „Den Brösel, von dem hier die Rede ist, gibt es in flüssiger und fester Form: das soll doch wohl Haschisch heißen?“
Antwort: „Wir meinen damit den Urstoff, die Befreiung des Geistes, die Essenz des Lebens, und wenn das für Sie Haschisch sein sollte, dann eben auch Haschisch: der Brösel ist für jeden das, was er hineininterpretiert“.
Frage: Ihr verlustigt Euch doch nur auf Kosten der Kirche!"
Antwort: Darf denn Religion keinen Spaß bereiten???!
Frage:: Wer ist „Man“? Der Name GOTT oder JESUS wird in eurem Opus nie erwähnt?"
Antwort: Man sind unserer Meinung nach 4 Götter gewesen, eine lustige Göttergemeinschaft..."
Frage:: Wieso heißt die Oper „Jesuspilz“?"
Antwort:: Jesus bringt Glück, Pilze sind Glückssymbole!"
Frage:: Steht Jesus für Hasch?"
Antwort: Da ist ein gewaltiger Unterschied: Haschisch muss man kaufen, Jesus hat man in sich."
Frage: Ihr findet das Evangelium „Dufte“ – ist das nicht sehr oberflächlich?"
Antwort: Jesus war bestimmt genau so ein dufter Typ wie wir. Der hat mit seiner Gruppe bestimmt auch viel Spaß gehabt."
Behauptung:
Ich habe den Eindruck, die Oper handelt von euch und euren Schwierigkeiten und Problemen! ?"
Antwort: keine! 
 

Vor Erscheinen der Platte spielen wir Ausschnitte des Jesuspilz-Programms bei einer Life-Veranstaltung in Böblingen, die vom SWF3 aufgenommen werden. Nach der Ausstrahlung ist die Resonanz so groß, dass 2 dieser Stücke die SWF3-Hitparade über Wochen anführen. Als dann die LP herauskommt, sind wir mit weiteren Titeln drin – und damit werden wir Stammgast bei SWF3-Sendungen, sowohl im Radio als auch beim Fernsehen. Der Erfolg dieses Projektes überrascht uns total...
Aus einer dieser Live-Veranstaltung stammt der Song "Das Vermächtnis des Meisters", der es nicht auf die Jesus-Pilz LP geschafft hat. Damit dieser Song nicht ganz in Vergessenheit gerät, ist er hier - trotz der bescheidenen Qualität - zu hören:

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ir tauchen in unzähligen Fernseh- und Radiosendungen auf, haben Riesenartikel in den Zeitungen: nicht nur Positives: • verblueste Choralklänge im Country-Stil • Rock´n Roll im Softlook • schön anzuhören • Spaßvögel der Pop-Szene haben die Bibel entdeckt • Die fröhliche Oper vom Glückspilz Jesus • freche Texte für fröhliche Götter • Religion bereitet Spaß • die Jesus-Rakete • Die Weltschöpfung als Pop-Effekt, sondern natürlich auch Verrisse: • hier wird eine Botschaft missbraucht • mit Evangeliumsmusik ins Weihnachtsgeschäft • ist das eine neue Biermarke? • wieder eine neue Masche von W&W • ihr schwimmt doch nur auf der Jesus-Welle mit • Bernd Superstar, der Jesus Troubadour [Begriff von Jürgen Hainke, unserem Fan aus der Essener NRZ-Lokalredaktion] • der Jesuspilz schmeckte fade • Nichts als Brösel!



Interviews und Statements - vor und nach dem Auftritt

nser Produzent erklärt uns immer wieder: Jungs, nehmt euch Kritiken ja nicht zu Herzen: Hautsache, die Medien berichten von euch und eurer Musik: tut manchmal weh, da müssen ihr eben durch. Und es wird gesendet und geschrieben, der Kirchen für unsere Tour werden immer mehr und sorgen vielerorts schon im Vorfeld eines Auftritts für Furore und Aufregung. Die Androhung unseres Kommens provoziert ungewöhnliche Demonstrationen und Protestaktionen von Kirchenmitgliedern vor ihren Kirchen, Gemeindeglieder beten während unserer Konzerte vor dem Altar, um zu dokumentieren, dass nur der Gemeinde die Kirche gehört und nicht den zwei "Pilz-Gammlern“. Zwei Kapläne verlassen unser Konzert in Mensum und sprechen von „Pilzvergiftung“(?). Kritik an der Veranstaltung, Drohungen (nicht in unserer Kirche, sonst...) und Proteste. Klarstellungen, Gegendarstellungen und Widerrufe werden in Leserbriefen öffentlich über die örtlichen Zeitungen ausgetragen und abgedruckt. Kirchenaustritte werden angekündigt für den Fall unseres Auftrittes - und auch vollzogen: wir bringen mit unserer Oper so manche Gemeinde in Schwingungen – so oder/und so. Denn auch die Kirchen selbst wackeln: die sind nicht nur voll – die platzen teilweise aus allen Nähten. Schon Stunden vor Einlass sitzen Dutzende von Freaks vor den Kirchenportalen, bewaffnet mit Schlafsack, Joint und Rotwein und warten auf Einlass. Die Pfarrer, Pastöre und Kapläne sind happy: endlich mal wieder die Bude voll mit jungen Menschen – „Ja ist denn schon Weihnachten?“. Ökumenisch sind wir auch: wir spielen sowohl als auch. Und - die Geistlichen sind teilweise auch nicht ohne: laden uns ins Pfarrhaus ein zum Essen (nur vom Feinsten), haben ein wirklich gutes Tröpfchen für uns (keinen Messwein), zeigen uns Bilder von Altären, wo Jesus & Co. inmitten von „Gräsern“ herumturnen, bei deren Anblick jeder „Kräuter“-Kundler vor Freude aufjuchzt, finden unseren neuen Weg der Verkündung großartig, weil auf diese Weise die Jugend an die Botschaft gebracht wird.

Und auch Fans formulieren ihre Gedanken über die Botschaft, beispielsweise:
Frage: "Hör mal, auf wie vielen Ebenen läuft denn eigentlich diese ganze Geschichte ab?"
Antwort: "Auf sieben...!"
Frage: "So viele? Ich habe erst 5 entdeckt."
Antwort: "Dann sei froh: wenn Du die 7. Ebene erreicht hast, dann ist´s vorbei mit Dir..."
Frage: Ja aber ihr habt diese 7. Ebene doch schon erreicht und ihr seid noch da!"
Antwort: "Wir haben eine Sondergenehmigung - von ganz oben!"
Keine weitere Fragen.

ast 100 Auftritte in Kirchen bewältigen wir innerhalb eines Jahres und sind damit ein Begriff und eine feste Größe im Showbizz – nicht ohne Konsequenzen für die privaten Lebensumstände von uns Beiden: unser Umfeld kommt mit der Hype um unsere Personen nicht so richtig klar - für sie haben wir einen Stellenwert, den wir aber gar nicht sehen - und wir selbst blicken dann irgendwann auch nicht mehr durch.
Erfolg war und ist nun mal in unseren Kreisen anrüchig, und alles was wir tun und was wir sagen, wird plötzlich kritisch beäugt und hinterfragt: "Seid ihr jetzt was Besseres?", "Ist wohl alles nicht mehr gut genug für Euch?" "Habt ihr doch früher nicht gemacht!". 
Wir erscheinen unserer Umgebung suspekt - und wir beschließen, diesen unangenehmen Zustand zu beenden und eine Zäsur vorzunehmen: von Essen weggehen und irgendwo auf dem Land in ein Bauernhaus ziehen! 
Stadtflucht ist angesagt. Wir wollen - nein wir müssen zur Ruhe kommen und unseren Mittelpunkt wiederfinden. Also packen wir Instrumente sowie private Utensilien zusammen und verlassen schweren Herzens Familien, Freunde und -Innen, Mädels, Kneipen, die Viehofer Str., das Ruhrgebiet, NRW - eben alles, was uns bisher lieb und teuer war - und wandern aus: neue Wege können nur dadurch entstehen, das man sie geht...

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68er nach Noten - Kapitel 9: Der Jesuspilz
© 2002 by Walter Westrupp - letztmalig überarbeitet im November 2020