Mein Wehrdienst

Die Wege des Herrn sind unergründlich: er lässt es zu, dass ich 1968 meinen Dienst für das Volk antreten muss. Dreimal hatte meine Cola-Therapie wunderbar angeschlagen: ich wurde wegen zu hohen Blutdrucks zurückgestellt. Als ich diese großen Mengen Cola nicht mehr sehen, geschweige denn trinken kann, werde ich prompt eingezogen. Fortan kämpfe ich nicht nur gegen die Russen, ich kämpfe fortwährend um meine Bart, muss laufend in die Gaskammer, werde getrietzt, bekomme den Wochenendurlaub gestrichen. Ich bin (k)ein guter, aber ein lu(i)stiger Soldat, der immer wieder tollen Stress mit seinen Vorgesetzten hat - verschlafen, Schuhe nicht geputzt, Haare zu lang, patzige Antworten gegeben, in die falsche Richtung geguckt, mit der falschen Hand gegrüßt: die ganze Palette rauf und runter eben. Mein einziges Plus ist meine wunderbare Sopran-Stimme: ich brülle beim Stubenappell - als Stubenältester bin ich per Gesetz dazu verpflichtet - so laut meine Meldung, dass die ganze Kaserne stramm steht.

Nach einem ½ Jahr Eingewöhnungs- und Anpassungszeit werde ich aufgrund meiner hervorragenden kämpferischen Veranlagungen in die Kaserne Essen-Kray versetzt. Dort wird mir ein neues Outfit verpasst - ich bekomme (und gebe hiermit zu: nicht ganz gegen meinen Willen) neue wunderbare Kleider - und alle diese schönen Sachen sind irgendwie reichlich groß: der Helm sitzt auf Augenhöhe, die Jackenärmel sind ca. 10 cm zu lang bzw. meine Arme zu kurz, der Mantel erreicht Zeltdimensionen und schleift über den Boden, und mein Beinkleid (das man wg. des langen Mantels leider nicht mehr sehen kann) wirkt wie eine Korkenzieherhose Marke Volkschullehrer. Als ich damit zum ersten Mal Torwache schieben darf und in  Ausübung meiner Pflicht heldenhaft den Kommandanten kontrolliere, ist dieser so erfreut ob meines Outfits, dass er mich stehenden Fußes zum Wachhabenden beförderte und vom aktiven Wachdienst abzieht (er murmelt dabei etwas von Schädigung des Ansehens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit?). 

Als dann endlich irgendwann (nach entsprechend lancierten Nachrichten) bekannt wird, dass ich ein echter Künstler und damit ein echter Outsider bin, werde ich - auch dank meiner Bekanntschaft mit den Elite-Schwimmern von Essen 06, die alle guten Jobs in der Waffenkammer, in der Schreibstube etc. innehaben - mit der Maßgabe, meinen mittlerweile auf Schnauzbart geschrumpften Bart auf das wirklich "Notwendigste" zu kürzen, als Ordonanz ins Kasino versetzt, wo ich fortan unter Einsatz aller meiner damals schon vorhandenen handwerklichen und intellektuellen Fähigkeiten Kaffee koche, Billard spiele, Küchenschaben unter den Kartoffeln verstecke, serviere und nach Feierabend mit meinem Oberfeld den „Goldenen Anker“ in Duisburg besuche. Der durchaus gewollte positive Effekt der Versetzung: ich bin nahe der Heimat, kann aufgrund des Schichtdienstes wieder als Disc-Jockey (im Bistro) arbeiten und bin zurück in der Szene. Ich habe ein warmes Zimmer, ich habe frei Essen und trinken, ich bekomme einen zugegeben kargen Sold, kann mir aber nebenher so einiges dazuverdienen: es geht mir gut. 1969 werde ich nicht unehrenhaft als Stabsdienstsoldat entlassen - bin nicht mal Gefreiter geworden und tatsächlich  irgendwie auch noch stolz darauf...

Damit ist das Kapitel "Dienst für den Staat" aber nicht abgeschlossen. Als Begründer der "Jesuspilz"-Bewegung stelle ich den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung: und da geht es erst mal richtig los ...eine (fast) unendliche Geschichte....

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