Mein
Kriegsdienst - Verweigerungsverfahren
(eine unendliche Geschichte)
Den
harten Dienst am/fürs Vaterland
habe ich heldenhaft und ohne nennenswerte Verletzungen von 04.1968
bis 09.1969 abgeleistet und überstanden - nur das war ja quasi gewissermaßen Späßchen in Friedenszeiten. Mir wird mit etwas Abstand dann auch klar und deutlich: noch mal willst Du so etwas nicht mitmachen - vor allem
nicht, wenn´s mal richtig kracht....Was soll ich denn auch bei einem Ernstfall machen, außer meine Haut und die der mir Anvertrauten zu retten. Bei meiner
äußerst ehrenhaften Entlassung aus dem Dienst für unser Volk habe ich ein Schreiben erhalten, in dem mir unter dem
Blausiegel der Verschwiegenheit mitgeteilt wird, dass ich mich im
Ernstfall an einer Brücke (welche sage ich nicht, das ist Geheimsache - und
ich bin entsprechend vergattert) einfinden soll, um diese zu verteidigen!
Ich habe aber doch nur kellnern und Billiard spielen gelernt! Daher nehme ich an, dass ich dort
die aktiven Kämpfer mit Getränken versorgen soll - im Granatenhagel
einen Caipirinha servieren - und vielleicht ein bisschen Ukulele spielen im Bombenhagel. Aber wer hört mir da zu? Neee, das kann es doch nicht sein.
Ich beschließe daher nach schweren inneren K(r)ämpfen, den dornenreichen und
langen Weg eines Kriegsdienstverweigerungsverfahrens zu beschreiten.
Ich bereite mich mit Freunden/innen, Insidern, Rechtsanwälten und anderen
Fachleuten aus unserem Dunstkreis auf dieses Verfahren vor und formuliere meinen Antrag nach bestem
Gewissen und stelle ihn an einem verregneten Tag Ende September 1969. Flugs
nach 2 Monaten werde ich aufgefordert, diese meine Gründe (in Ruhe) noch
einmal ausführlich und schriftlich so zu fixieren (Werdegang, berufliche
(?) Pläne, Lebenslauf, Hobbies, gemeinnützige Tätigkeiten etc.) , auf
dass die Jury bei ihrer Entscheidung meine gesamte Persönlichkeit und mein
sittliches Verhalten entsprechend zu berücksichtigen in der Lage sein
würde. Zudem soll ich 2 Zeugen mit Postleitzahl (also wohl festem Wohnsitz) aufbieten, die meinen
drängenden Wusch und die innere Qual, die Ursache dieses Verlangens nach
Verweigerung war, bestätigen können. Die ersten Punkte erfülle ich schnell - dafür gibt´s ja genügend Vorlagen (auch wenn
es
damals das Internet noch nicht gibt). Jetzt noch 2 Zeugen. Da ist zunächst unsere langjährige Weggefährtin Bärbel Saß, die mir schriftlich bestätigt, dass ich schon immer (also solange sie mich kennt) gegen Krieg
bin. Das untermauert sie mit Zitaten und Aussprüchen, die ich während verschiedener Gelegenheiten von mit gegeben habe:
• auf einem Sockel am Burgplatz sitzend und ein Soldat in Uniform vorbeigeht: das sieht nicht gut aus - sowas möchte ich nie mehr tragen.
• auf einer Fete bei Kuno, als sich mir ein Mädchen mit den Worten verweigert, ich sollte mal an die Soldaten in Vietnam denken: die könnten auch nicht immer, wenn sie wollten: Siehst Du: Krieg ist Scheiße.
• als wir auf dem Weg zu einer Demo an einer Kaserne vorbeikommen:
die armen Schweine da drin - was haben die vom wirklichen Leben.
• bei der Durchsicht einer Underground-Zeitung, in der ein Paar beim Beischlaf abgelichtet ist: Es dürfte nur noch mit Waffen der Liebe geschossen werden, und zwar im Bett.
• als ich einmal von Erich Dittges mit dessen Frau im Bett überrascht wurde (in Erichs Bett):: Erich, wir müssen diese Sache gewaltlos bereinigen.
• als ich "Tolkien" lese: selbst in der Literatur ist Krieg furchtbar - wie dann erst im wirklichen Leben. Der 2. Zeuge ist Berhard Witthueser, Mitbegründer der von uns ins Leben gerufenen Jesus-Pilz-Bewegung. Leider liegt mir das Originalschreiben nicht mehr vor, ich weiß aber noch, das hier
viele Brösel-Zitate aus dem Positionspapier der Bewegung angeführt waren, die für uns ja nun quasi Gesetz waren und alle untermauerten, dass ich quasi als ein Apostel einzustufen sei und meine religiösen Grundwerte mir
den Dienst mit einer Waffe unmöglich machen. Das Schreiben ist mit Buntstiften wunderbar ummalt, Fliegenpilze und Hanfblätter sind auf wundersame Art mit eingearbeitet: geradezu ein Kunstwerk - eigentlich viel zu schade für
einen Kriegsdienstverweigerung - Ausschuss.
Ende April 70 werde ich dann zur mündlichen Verhandlung geladen. Leider kenne ich mich in Düsseldorf
nicht so richtig aus und bin zur geforderten Zeit in Duisburg (da weiß ich besser Bescheid - hier bin ich schließlich fünf
Mal gemustert worden). Die kennen mich auch noch, sind sehr hilfsbereit und erklären mir den Weg
nach Düsseldorf, und mit nur 75-minütiger Verspätung erreiche ich abgehetzt den Ausschuss in D´dorf, aber da wollen die mich nicht mehr vernehmen mit dem vorgeschobenen Argument, ich hätte keinen gültigen
Personalausweis dabei. Was brauch ich einen Ausweis, wenn ich persönlich anwesend bin... Eine erneute Einladung geht (wahrscheinlich wie
immer auf dem Postwege) irgendwie verloren, so dass ich nicht persönlich erscheinen kann/darf, was dem Ausschuss sehr lieb zu sein scheint: sie entscheiden im
Mai 1970 gegen mich mit der Begründung, ich müsste mir die
Aussagen meiner beiden Zeugen anlasten lassen... Mein Antrag wird einfach abgelehnt. Das trifft mich schwer - aber es wirft mich nicht
aus der Bahn. Nachdem wir die Jesus-Pilz-Bewegung in Deutschland publik gemacht und unsere Missionarstour durch die deutschen Kirchen hinter uns haben, greife ich dieses bisher unbefriedigend verlaufene Kapitel wieder auf.
Im
März 1972 formuliere ich von Dill aus (wo wir jetzt unser Domizil haben) meinen
Einspruch wie folgt: Sehr geehrte Herren, liebe
Freunde, liebes Kreiswehrersatzamt,
bezugnehmend...blah blah...meine Gründe: 1. Ich bin religiöser Musiker und Missionar, also oft unterwegs, und das meist für längere
Zeiträume. Daher erreicht mich Post (die ich mir immer hinterherschicken lasse) oftmals verspätet: denn kommt die Post dort an, bin ich meist schon wieder weg. Deshalb bitte ich, mir Vorladungen zu von Ihnen
anberaumten Terminen mit einer Frist von mind. 1 Jahr zu schicken - das müsste für Sie doch eine Kleinigkeit sein.
2. blah blah
3. Ihre Begründung, meine ernstgemeinten und ehrlichen Argumente seien "sophistische Gedankenverdrehungen", gehen in keinster Weise auf den Kern meiner schweren Gewissensnöte ein.
4. blah blah
5. Wenn die Aussagen des Zeugen Bernhard "Clear Light" Witthüser, den ich wegen seiner tiefen religiösen Einstellung schätze und hoch verehre und auf dessen moralisches Urteilsvermögen ich
allergrößten Wert lege, mir von Ihnen "zur Last gelegt" werden, dann ist das (auch von allen meinen Freunden, Bekannten, Verwandten) nicht nachzuvollziehen: alle seine Aussagen sprechen doch für mich. Aber das
können Sie nicht verstehen, wenn Sie einen Staat vertreten, der ohne Zögern Menschen zeigt, die Gewalttaten verüben, der es aber ablehnt, ein Paar beim Beischlaf zu zeigen. Da stimmt doch etwas bei der Wertsetzung
dieses Staates nicht. Ich bin der Meinung, dass die Menschen ständig miteinander schlafen sollen, wann immer sie wollen. Dies ist die Anerkennung der Realität, die mich umgibt und alle meine Freundinnen und Freunde auch
(Abs. II der Jesus-Pilz-Bewegung-Grundsatzerklärung).
6. In meinem Leben versuche ich, meinen eigenen Weg zu gehen: weg von Realitäten, die "ihre" Zivilisation geschaffen hat. Ein Dienst mit der Waffe für "ihre" Gesellschaft, die nicht die meine sein kann,
ist für mein Gewissen unmöglich und steht im krassen Gegensatz zu Abs. III der "Jesus-Pilz-Bewegung-Grundsätze", die hier die "Revolutionsziele der Yippies" neuformuliert: totale Entwaffnung aller
Menschen, angefangen bei der Polizei und bei der Armee. Das schließt alle Waffen ein, also neben Gewehren, Pistolen, Raketen, sämtlichen ABC-Waffen auch Gummiknüppel, -geschosse und Totschläger etc. ein.
Da ich davon ausgehe, dass diese meine Auffassungen Ihnen nachvollziehbar aufzeigen, dass ich nicht der rechte Kämpfer für "ihre" Ideen bin, schicke ich Ihnen
anbei schon einmal vorab meinen Wehrpass zurück: bei Ihnen ist er besser aufgehoben.
In der Hoffnung, nichts mehr von Ihnen zu hören, verbleibe ich
mit fröhlichem Gruß und Grüß Gott
W.W.
P.S. Viele Grüße auch von meinem Freund Bernhard Witthüser Tja, das sitzt. Dachte ich - wie gesagt: wir schreiben
März 1972. Doch schon
zwei Wochen später wird mir mitgeteilt, dass ich diesen meinen Einspruch verspätet eingereicht habe. (Frist war angeblich Mitte Juni 1970 abgelaufen). Aber: was sind 2 Jahre, wenn´s um mein Gewissen geht, wenn es um meine
innere ehrlich Überzeugung geht: die wechsele ich doch nicht jährlich wie meine Unterhose... Die Sache ruht jetzt, aber in mir sieht das ganz anders aus. Täglich überkommt mich beim morgendlichen Gang zum Briefkasten ein beklemmendes Gefühl, und ist ein länglicher blauer Brief im Kasten, falle ich
jedes Mal in
eine tiefe Ohnmacht: das muss der EINBERUFUNGSBEFEHL sein. Ich mache keinen Brief mehr auf, verklebe sogar kurzzeitig den Briefkastenschlitz. Aber da erreichen mich die GEMA-Abrechnungen nicht mehr - also geht das Zittern weiter. Und dann, im Jänner 1979, ist das Schreiben da: nach 3 Wochen kann ich mich überwinden und plane die Öffnung. Wie bei einer Bombenentschärfung habe ich alle Familienmitglieder und die
Hunde weggeschickt. Ich gehe in den Keller: bei Kerzenlicht reiße ich vorsichtig den Umschlag auf: Jawohl - betrifft meinen Einberufungsbescheid. Ich lege mir das Seil um den Hals - aber es ist kein Stuhl da. Ich will mir
die Tränen abwischen - und habe auch meine Taschentuch vergessen. Also nehme ich das Scheiben (dann ist es doch wenigstens noch für etwas gut) und will mir die Tränen abwischen - da sehe ich,
daß dieser Bescheid meinen
bisherigen Einberufungsbescheid für den Verteidigungsfall aufhebt und ich mit einem neuen Bescheid vorerst nicht zu
rechnen habe. YIPPIE - ich habe überlebt.
Aber 10 Jahre Papierkrieg reichen mir vollkommen:
Friede auf Erden
Essen, im Februar 2003 |